Operation Kanal aus Neuss gesteuert
Heinz Günther Hüsch verhandelte im Regierungsauftrag die Ausreise von Deutschen aus Rumänien.
Neuss. An dem Sonntag vor 50 Jahren, als in Berlin der Mauerbau begann, ist nach der Erinnerung von Heinz Günther Hüsch die Empörung in Neuss nicht allzu groß gewesen. Niemand habe geahnt, dass damit die Teilung des Landes zementiert wurde. Und zudem, nicht gerade schmeichelhaft, wie Hüsch sagt: In der Stadt lebten bereits viele arme evangelische Flüchtlinge, Wohnraum war knapp, es gab Spannungen, und Berlin war den Rheinländern fern. Hüsch war seit drei Jahren CDU-Ratsherr. Dass ihm im Kalten Krieg eine gewichtige, geheime Rolle zufallen sollte, konnte er da noch nicht ahnen.
Jahre später, der Eiserne Vorhang war dicht und Kurt Georg Kiesinger Kanzler, erhielt der Landtagsabgeordnete eine überraschende Anfrage aus Bonn. Hüsch sollte als Beauftragter der Bundesregierung mit der rumänischen Seite Verhandlungen über die Ausreise von Rumäniendeutschen führen. Warum gerade er? Hüsch erzählt, es habe Verbindungen aus Düsseldorf ins Bundes-Vertriebenenministerium von Kai-Uwe von Hassel gegeben. Dort habe man ihn wohl als „loyal, verschwiegen und kampfbereit“ eingeschätzt. Und so begann die Operation Kanal, eine hochgeheime anwaltliche Tätigkeit, die sich über 20 Jahre erstreckte und heute filmreif erscheint. Einen Vertrag darüber hat es nie gegeben.
Der Anwalt aus Neuss, Deckname „Eduard“, nahm Kontakte auf, verhandelte in Paris und Stockholm, in Neuss, Kopenhagen und Rom. Seine Gesprächspartner waren Offiziere des berüchtigten Geheimdienstes Securitate. Die Verträge, die sich neben zahllosen Vermerken und Protokollen in den 50 Ordnern im Panzerschrank der Kanzlei Hüsch & Partner finden, listen exakt auf: Wieviel Rumäniendeutschen gestattet die Regierung in welchem Zeitraum die Ausreise — und wie viel hat die Bundesregierung pro Person zu zahlen. Die Bundesrepublik Deutschland taucht als Vertragspartner in diesen Verträgen nicht auf; unterzeichnet wurde von „Dr. Hüsch, Anwalt“ und einem Rumänen, der sicherlich einen Aliasnamen gewählt hatte, so der Anwalt heute.
Hüsch verhandelte nicht nur, der Mann aus Neuss regelte auch die Zahlungen in Millionenhöhe. Das funktionierte in den ersten Jahren nur in bar. Die Bundesregierung überwies die Summen an die Commerzbank, dort holte Hüsch das Geld ab: in 1000er-Scheinen, mal 5 Millionen Mark, mal 7 Millionen, einmal auch 22 Millionen Mark, versehen mit dem Siegel der Bank und dem der Anwaltskanzlei. Das Geld übergab der Emissär dann irgendwo an einen rumänischen Unterhändler.
Bargeld, Schecks, Überweisungen, 313 offizielle Verhandlungen, etwa 1000 begleitende Gespräche, das alles unter den Kanzlern Kiesinger, Brandt, Schmidt und Kohl: Für mehr als 210 000 Rumäniendeutsche hat Hüsch die Ausreise-Voraussetzungen verhandelt. Wieviel Geld insgesamt geflossen ist, mag der Anwalt nicht sagen. Die Summen pro Person — zunächst in Kategorien gefasst, dann einheitlich — stiegen ständig. Waren zunächst für einen Ausreisenden ohne Berufsausbildung 1800 Mark zu zahlen, stieg die Summe am Ende auf knapp 9000 Mark unabhängig vom Status.
In inoffiziellem Bonner Auftrag organisierte Hüsch auch einen Austausch — ein Spion gegen 20 Ausreisewillige —, beschaffte diverse 280er Mercedes mit Spezialausstattung für Nicolae Ceausescu und sondierte 1988 im direkten Gespräch mit dem berüchtigten Staatschef Bedingungen für einen Staatsbesuch Helmut Kohls. Der kam allerdings nicht zustande.
Ein Jahr später fiel die Mauer, Ceausescu wurde erschossen. Beim Festakt am 3. Oktober 1990 war Heinz Günther Hüsch auf der Tribüne am Brandenburger Tor dabei, „zweite Reihe natürlich“, wie er sagt. Einen Dank für 20 Jahre geheimer Verhandlungstätigkeit hat er nicht erhalten.
Heute betont der 82-Jährige: „Ich habe niemanden gekauft. Ich habe die Bereitschaft der rumänischen Seite zur Ausreisegenehmigung herbeigeführt.“