Psychogramm der Bankerkaste
Zur Spielzeiteröffnung zeigte das RLT einen beeindruckenden Theaterabend.
Neuss. Die Bühne ist klinisch rein, weiß gekachelt; die Akteure tragen Anzug oder Business-Dress. Doch in jeder Uniform steckt ein Mensch, und jede Illusion platzt irgendwann. „Das Himberreich“ heißt Andreas Veiels Stück, mit dem das RLT jetzt die neue Spielzeit unter dem Thema „#weisheit“ eröffnete. Inszeniert wurde das Eröffnungsstück von RLT-Intendantin Bettina Jahnke.
Die verließ sich dabei auf die Stärke des Textes: auf das Wort. Ihre Gestalten lässt sie viel monologisieren, ein paar Mal hitzig streiten — insgesamt ein beeindruckender Theaterabend, den das Publikum mit anhaltendem Beifall belohnte.
Das zeitgenössische Stück (2013) seziert die Seelen von Spitzenbankern, die nach dem Crash von der Chefetage ins Untergeschoss versetzt wurden; mit immer noch absurd hohen Gehältern, aber ohne jede Entscheidungsgewalt. Sie sind zu fünft, vier Männer und eine Frau (Henning Strübbe, Joachim Berger, Philipp Alfons Heitmann, Markus Gläser und Ulrike Knobloch). Sie sind Gegner, Konkurrenten, die selbst nach dem Fall ihre Fehden weiterführen. Hinzu kommt ein Außenstehender, der Chauffeur Hinz (Stefan Schleue).
So real das Szenario, so wenig lassen sich die Figuren in der Wirklichkeit wiedererkennen. Das hat Gründe, wie Autor Andreas Veiel erklärt. Der ist nicht nur Dramaturg, sondern auch Dokumentarfilmer, so kreist etwa seine Arbeit „Black Box BRD“ um die Biografien des Bankmanagers Alfred Herrhausen und des RAF-Terroristen Wolfgang Grams.
„Das Himberreich“ — der Titel spielt auf die scheinbar süße Welt des Kapitalismus an — lässt sich wohl treffend als Nicht-Doku bezeichnen: Der Text basiert auf Gesprächen mit mehr als 20 ehemaligen und noch amtierenden Bankenvorständen, für die Andreas Veiel unter anderem nach Frankfurt und London reiste. Aus den über 1500 Seiten Mitschrift machte er den Text für das gut anderthalbstündige Stück, freilich so sehr verfremdet, dass keiner der Befragten wiedererkannt werden kann. Denn das hätte sie ihre Pensionen kosten können. Gleichwohl - oder gerade deshalb - ist Veiel ein Psychogramm der Bankerkaste gelungen: Sie weisen jede Verantwortung für den Crash von sich, jonglieren mit absurd hohen Zahlen und flüchten sich in Fachchinesisch. Für eine wirkliche Abkehr sind sie viel zu sehr eingeflochten „in ein anonymes, international vernetztes Finanzsystem“, wie Veiel sagt.
„Wer Himbeereiche anzündet, kann nicht erwarten, deren Früchte zu ernten“, sagt Fahrer Hinz gegen Ende. Diesen Satz gab es schon einmal. Er stammt von der Terroristin Gudrun Ensslin, die mit voller Absicht Kaufhäuser in Brand setzte. Den Kapitalismus haben sie und ihre Komplizen nicht gestürzt. Doch was, wenn sich das System selbst zerstört?