Tour de Neuss ist auch in diesem Jahr ein voller Erfolg
Etwa 20 000 Menschen verfolgten das spannende Rennen. Am Ende konnte André Greipel den Sieg erringen.
Neuss. Es war dreieinhalb Stunden nach dem Spurtsieg von André Greipel, Mitternacht war schon vorüber bei der After-Race-Party im „Drusus1“, als Richard Faltus zu Andreas Britz ging, der als DJ bisher für dezente Hintergrundmusik gesorgt hatte. Sein Wunsch: „Bitte spiele für mich einmal Viva Colonia.“
Was danach passierte, steht sinnbildlich für das, was die Tour de Neuss im 16. Jahr ihres Bestehens ausmacht: Der Mann aus Prag, der seit 2005 in jedem Jahr die „Tour nach der Tour“ fährt, diesmal aber schon früh dem hohen Tempo im Peloton Tribut zollen musste, der gebürtige Sachse Marcus Burghardt, der im Trikot des Deutschen Meisters hinter Greipel und Rick Zabel Dritter wurde, Tour-Teufel Didi Senft und der Schützenkönig von Grimlinghausen, im Zivilberuf unter anderem Vorsitzender des Neusser Radfahrervereins, schunkelten gemeinsam zu rheinischen Frohsinnsklängen.
Die Organisatoren um Stephan Hilgers hatten auch allen Grund dazu. „Das war die beste Tour de Neuss, die ich je erlebt habe — und ich war bei allen dabei“, bilanzierte das Neusser Radsport-Urgestein Kurt Sitterle. Und stand mit diesem Fazit keineswegs alleine an diesem Mittwochabend voller Sonnenschein, mit gut und gerne 20 000 Menschen entlang des Rundkurses, nicht nur an Start und Ziel auf der Kaiser-Friedrich-Straße, wo sich Getränke- und Imbissstände gefährlich nahe am „Ausverkauft“-Status bewegten. „Natürlich haben wir von der Begeisterung durch die Tour de France profitiert, natürlich haben wir Riesenglück mit dem Wetter gehabt. Aber wir haben auch ein gutes Stück Arbeit abgeliefert“, sagte Hilgers. Da wollte dem NRV-Chef keiner widersprechen. Judith Meuter, Leiterin Kommunikation bei der Innogy-Tochter Westnetz, brachte die Stimmung unter den Unterstützern und Gönnern des Radsportspektakels, das längst zum Volksfest geworden ist, auf den Punkt: „Warum sollte ein Sponsor nach einer solchen Veranstaltung abspringen?“
Auch die Fahrer um den Deutschen Meister Marcus Burghardt, der nach 76 der 80 Runden mit einem ebenso mutigen wie verzweifelten Soloritt versucht hatte, die Tour für sich zu entscheiden, hatten allen Grund zum Schunkeln. Sie lieferten mehr als anderthalb Stunden lang eine Riesenshow, bis hin zu hitzigen Wortgefechten. Und die zehn Mann, die direkt aus der Tour de France kamen, straften ihre eigenen Worte bei der Teampräsentation Lügen. „Müde“, sagte der Kölner Nils Politt auf die Frage, wie er sich nach seiner ersten Tour de France fühle, was seine Kollegen nur unterschreiben konnten.
Trotzdem gingen sie vom Startschuss an, den der erstmals seit 2009 wieder nach Neuss gekommene Erik Zabel abgab, ein hohes Tempo. Die zahlreichen Führungswechsel, die nach wenigen Runden immer wieder gestellten Ausreißergruppen und neuen Fluchtversuche zermürbten auf Dauer die tapferen 35 Amateurfahrer, von denen der seit drei Wochen „der Liebe wegen“ in Neuss lebende Philipp Mamos auf Rang neun der beste war. „Das Tempo war unglaublich hoch“, sagte der Ex-Büttgener Sven Thurau, vor zwei Jahren Vierter, diesmal auf Rang 20 und trotzdem nicht enttäuscht.
„Was da vorne abgeht, ist Wahnsinn. Das spricht für die Qualität des Fahrerfeldes“, kommentierte Christian Stoll. Und als sieben Runden vor Schluss Robert Wagner, Marcus Burghardt, Rick Zabel und André Greipel eine kleine Distanz zwischen sich und den „Rest“ der Spitzengruppe um die Tour-Fahrer Christian Knees, Nikias Arndt, Rüdger Selig und Marcel Sieberg geschaffen hatten, meinte er treffend: „Vier sind weg. Aber auf dem Podium ist nur Platz für drei.“
Das wird auch Marcus Burghardt so gesehen haben. Weshalb der Deutsche Meister vier Runden vor Schluss zu einer mutigen Alleinfahrt ansetzte. „Die hat mich am Ende wohl zu viel Kraft gekostet“, war der 34-Jährige hinterher schlauer. Als Erster musste indes Robert Wagner abreißen lassen. Und als das verbliebene Trio auf die Kaiser-Friedrich-Straße einbog, schienen sich die Dramen mancher zurückliegenden Tour de France-Etappe zu wiederholen: André Greipel lag in Führung, Rick Zabel kam näher und näher — doch diesmal hatte der Rostocker aus Hürth die Nase vorn.
„Gegen André den Spurt nicht zu gewinnen ist wahrlich keine Schande“, kommentierte Vater Erik Zabel. „Im Radsport kann halt nur einer gewinnen — heute war ich es“, sagte Greipel. Doch irgendwie gab es an diesem Abend nur Sieger in Neuss.