Viele Blinde trauen sich nicht raus
Fehlende Leitlinien und Signalsteine machen den Gang zum Bäcker oder Frisör für Betroffene zum gefährlichen Hürdenlauf. Vertreter der Initiative „Blindgänger“ berichten im Sozialausschuss von Problemen.
Kaarst. Man hätte im Sozialausschuss eine Stecknadel fallen hören können, als Mirijam Bank von Sabine Kühl (SPD) zum Mikrofon begleitet wurde. Bank gehört der Initiative „Blindgänger“ an. „Sie haben vielleicht das Gefühl, dass ich Sie anschaue, aber ich sehe Sie nicht“, erklärte die 40-Jährige, die vor elf Jahren erblindete. Mit dabei: Zwei ebenfalls blinde Frauen, Manuela Dolf (51) und Margaret Reinhardt (59).
ManuelaDolf, Initiative „Blindgänger“
Die drei Frauen haben eine Selbsthilfegruppe gegründet: die „Blind-Gänger“. Denn für sie ist jeder Stadtbesuch eine Herausforderung: Mülltonnen und abgestellte Fahrräder vor Häusern, Werbeschilder auf dem Fußweg und an warmen Tagen herausgestellte Tische und Stühle vor Cafés und Restaurants machen für sie aus dem Bürgersteig einen Slalom-Parcours.
Manuela Dolf leidet an der Erbkrankheit Retinitis pigmentosa. Mit Mitte 20 habe es angefangen. Sie habe immer schlechter sehen können, bis sie vor knapp zehn Jahren komplett erblindete. „Es gab Zeiten, da wollte ich aufgeben. Es war mir peinlich, aus dem Haus zu gehen, da ich mich nicht orientieren konnte“, berichtet sie. „In manche Teile der Stadt komme ich überhaupt nicht.“ Sie möchte aber am öffentlichen Leben teilhaben. Deshalb stellte sie bei der Stadt Anträge, bis zwei Signalampeln zwischen ihrer Wohnung und der Innenstadt aufgestellt wurden. „Das ist aber eine Ausnahme, für die ich hart kämpfen musste“, sagt sie. Im Sozialausschuss machte Mirijam Bank auf ein großes Problem für sie und ihre Leidensgenossen aufmerksam: „Abgesenkte Bordsteine sind für uns nicht erkennbar.“ Viele Blinde hätten längst keinen Mut mehr, sich allein vor die Tür zu wagen. Das weiß auch Manuela Dolf. „Wir bemerken durch die Absenkungen den Wechsel von Bürgersteig und Straße nicht mehr. Ich stand schon oft auf der Straße und habe nur noch quietschende Reifen gehört. Irgendwann kostet es einen von uns das Leben“, sagt sie.
Die Orientierung für Menschen mit Blindenstock sei nur mit Bodenunterschieden und Leitlinien möglich. In Kaarst gebe es weder Signalsteine — das sind die kleinen Erhebungen im Bürgersteig, die Blinden Orientierung bieten — noch Aufmerksamkeitsfelder. Mirijam Bank hofft, dass zumindest in der Stadtmitte sogenannte „Leitlinien“ in die Gehwegränder eingebaut werden. „Wir möchten selbstständig unsere Brötchen holen gehen, zum Frisör oder in die Apotheke“, sagte Bank. „Es ist schon erschütternd, wie wir als Gesellschaft über sowas hinweggehen konnten“, sagte Beate Kopp. „Ich finde es gut, dass der Arbeitskreis Barrierefreiheit bestehen bleibt“, sagte Dagmar Treger (CDU). Grüne und SPD hatten auf die Belange der Blinden und Sehbehinderten aufmerksam gemacht. Erste Konsequenz: Eine blinde Person wird in das Gremium „Kaarst barrierefrei“ aufgenommen. Bislang ging es bei Barrierefreiheit vor allem darum, Gehbehinderten Hindernisse aus dem Weg zu räumen.