„Vielen Kindern fehlt ein Zuhause-Gefühl“
Pädagogin Katja Blume spricht über das Projekt „Kult(o)ur“, mit dem Migrationskindern die deutsche Kultur näher gebracht werden soll.
Kaarst. Theater, Musik, Literatur, Museen — nur wenige Kinder und Jugendliche, die regelmäßig die offene Jugendfreizeiteinrichtung „Die Insel“ am Asternweg in Kaarst besuchen, kennen derartige kulturelle Einrichtungen. Das soll sich ändern. Im Oktober 2017 startete das Projekt „Kult(o)ur“. Ermöglicht wurde es durch die Spende in Höhe von 20 000 Euro, die Ikea anlässlich der Eröffnung des neuen Einrichtungshauses der Leiterin Katja Blume übergeben hatte. Die Diplom-Pädagogin spricht im Interview über das Projekt sowie die Arbeit der „Insel“ unter Trägerschaft der Malteser-Werke.
Frau Blume, was verbirgt sich hinter dem Projekt „Kult(o)ur“ genau?
Katja Blume: Bis zu 95 Prozent der Kinder und Jugendlichen bei uns haben einen Migrationshintergrund. Nur wenige von ihnen wissen, was deutsche Kultur ausmacht. Das wollen wir ändern. Wir haben einen gebrauchten Kleinbus angeschafft und werden in den nächsten zwei Jahren regelmäßig mit „unseren“ Kindern kulturelle Veranstaltungen besuchen.
Woher kommen die Kinder, die in der Woche zu Ihnen kommen?
Blume: Der Großteil wohnt in der direkten Nachbarschaft. Die meisten Kinder sind in Deutschland geboren, haben aber einen Migrationshintergrund. Vielen fehlt ein Zuhause-Gefühl. Sie sind in Deutschland nicht heimisch, haben aber auch wenig Bezug zum Heimatland der Eltern.
Warum kommen nur wenig deutschstämmige Kinder in „Die Insel“?
Blume: Zu uns kommen vor allem Kinder, die zuhause keine Möglichkeit haben, sich mit Freunden zu treffen. Manche haben kein eigenes Zimmer oder es ist ihnen aus anderen Gründen unangenehm. Hinzukommt: Die Insel hat keinen besonders guten Ruf. Als noch mehr Spätaussiedler hier wohnten, wurde sie früher abfällig die „Russen-Insel“ genannt. Diese Vorurteile halten sich stark. Das entspricht aber nicht der Realität.
Wie sieht der Alltag aus?
Blume: Bei uns sind alle willkommen. Denn wir sind eine „bunte“ Einrichtung mit Menschen aus rund 15 Nationen. Hier herrscht eine familiäre Atmosphäre. Wir kennen auch die meisten Eltern der Kinder, die zu uns kommen.
Was bietet die „Insel“ konkret ihren Besuchern?
Blume: Wir sind eine offene Einrichtung mit kostenlosen, niedrigschwelligen Freizeit- und Bildungsangeboten. Die Kinder können nach der Schule zu uns kommen, spielen, entspannen, reden, Hausaufgaben machen. Neben Kicker, Billard, Tischtennis, Malutensilien bieten wir Hip-Hop-Kurse ebenso an wie kostenlose Nachhilfe.
Wer erteilt die Nachhilfe?
Blume: Unsere Insel-Lerner-Paten. Wir haben rund 15 kompetente ehrenamtliche Mitarbeiter, die als „Paten für Bildung“ in einer 1:1-Betreuung Kindern aus benachteiligten Familien ein- oder zweimal pro Woche Nachhilfe geben. Als wir 2008 das Projekt starteten, hatten wir zwei Kinder zur Nachhilfe, heute sind es 30 Kinder. Übrigens: 2013 haben wir für das Projekt den ersten Platz des „Integrationspreises des Rhein-Kreis-Neuss“ erhalten.
Was erfahren Sie bei Ihrer täglichen Arbeit? Lässt es sich für Kinder in Kaarst gut leben?
Blume: Kaarst ist sicherlich eine kinderfreundliche Stadt mit engagierter offener Jugendarbeit. Aber ich würde mir wünschen, wir hätten mehr Drittmittel zur Verfügung.
Wie finanziert sich Ihre Einrichtung denn?
Blume: Die Stadt Kaarst unterstützt unsere zwei hauptamtlichen Stellen zu 85 Prozent, die Malteser-Werke als Träger weitere 15 Prozent. Zudem bekommen wir einen Zuschuss von der Stadt für die Betriebskosten. Alle Projekte aber sind über Spenden finanziert, die wir selbst akquirieren müssen. So bieten wir beispielsweise für Jugendliche eine Berufsvorbereitungs-Gruppe unter dem Motto „Fit for Job“ an, in der Turnhalle Bussardstraße „Gentlemen-Boxen“ oder auch Kurse für Eltern wie „Deutsch für Mütter“. In kleinen Gruppen unterrichten ehrenamtliche Mitarbeiter die Eltern der uns besuchenden Kinder.
Es fehlt also an Sponsoren?
Blume: Mein Herzenswunsch wäre, konstante Unterstützung für unsere kostenlosen Angebote zu erhalten. Sachmittel und Ehrenamtler benötigen Einrichtungen wie die unsere eigentlich immer.