Der falsche Enkel Stefan
Prozess: Vor dem Landgericht Essen ist ein 34-Jähriger angeklagt, ältere Menschen um ihre Ersparnisse gebracht zu haben. Von einer Sprockhövelerin (86) ergaunerte er 2500 Euro.
Sprockhövel/Essen. Sehr systematisch ging eine Bande vor, die von Juli 2006 bis März 2007 in NRW und Niedersachsen mit dem so genannten Enkeltrick auf Opferjagd ging. Am 23. März vergangenen Jahres schlug sie auch in Sprockhövel zu und brachte dort eine 86 Jahre Frau um 2500 Euro, die sie im Haus hatte. Ein Bandenmitglied, ein 34-Jähriger aus Leipzig, sitzt nun auf der Anklagebank des Landgerichts Essen.
Der Angeklagte, deutscher Angehöriger einer ethnischen Minderheit, hat am ersten Prozesstag ein Geständnis abgelegt. In zehn von 109 Fällen, die sich von Osnabrück über Ostwestfalen bis an den Niederrhein ziehen, wurden ältere Menschen um ihre Ersparnisse gebracht, insgesamt 75000 Euro.
Gegenüber der 86-jährigen Sprockhövelerin hatte sich der 34-Jährige am Telefon als "Enkel Stefan" ausgegeben. Er brauche ganz dringend 30 000 Euro für einen Autokauf, appellierte er an die Hilfsbereitschaft der alten Dame. In dem Glauben, dass tatsächlich ihr Enkel am anderen Ende der Telefonleitung sei, antwortete die Frau, sie habe höchstens 2500Euro im Haus.
Der Anrufer forderte das Opfer dreist auf, sich in den Autobus zu setzen, nach Wuppertal-Oberbarmen zu fahren und sich dort mit ihm zu treffen, um gemeinsam zur Sparkasse Wuppertal zu gehen und die Summe vom Konto abzuheben. Als die Frau dies ablehnte, legte der Anrufer auf.
Doch damit war die 86-Jährige den Betrüger keineswegs los. Kurze Zeit später rief er erneut an und gaukelte vor, dass sich der Autoverkäufer mit einer Anzahlung von 2500 Euro zufrieden gebe. Die Sprockhövelerin solle alles Geld in der Wohnung zusammensuchen, die Barschaft in einen Umschlag packen und sich damit an die Straße stellen. Es käme ein Mitarbeiter des Autohauses vorbei, um das Geld in Empfang zu nehmen.
Genauso geschah es. Bei dem Geldabholer handelte es sich um einen Mann, der von der Bande angesprochen und mit dem "Kurierdienst" beauftragt worden war. Eingeweiht war er in die Machenschaften nicht. Er bekam 150 Euro für den Abholdienst.
Die Beute teilten die Bandenmitglieder unter sich auf. Ob er sich denn keine Gedanken darüber gemacht habe, dass er die alten Leute um ihre Notgroschen gebracht hat, wollte Richter Knut-Henning Staake vom Angeklagten wissen. Nein, antwortete der 34-Jährige, der nie eine Schule besucht hat. "Ich brauchte Geld. Ich hab’ das meistens ausgegeben, war viel im Casino."
Verurteilt: Ein Mittäter des jetzt in Essen angeklagten 34-Jährigen ist bereits vor dem Landgericht Arnsberg zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Sein ebenfalls in Verdacht stehender Bruder ist noch flüchtig.
Strafbegrenzung: Weil er ein Geständnis abgelegt hat, wurde dem 34-Jährigen zugesagt, dass das Strafmaß sechs Jahre nicht überschreiten werde.
Opfersuche: Ihre potenziellen Opfer fanden die Täter laut Gericht über eine CD-Rom mit Telefonnummern. Gesucht wurde dort nach Vornamen, die auf ein höheres Alter schließen ließen, wie etwa Anna oder Marie.