Mehr als 600 000 Euro veruntreut: Jobcenter als „Gelddruckmaschine“
Amtsgericht Schwelm verweist den Fall ans Landgericht.
Sprockhövel. Als „Gelddruckmaschine“ bezeichnete der Staatsanwalt bei der Verhandlung am Montag vor dem Amtsgericht Schwelm die Zustände im Jobcenter EN, die es laut Anklage zwei angeklagten Mitarbeiterinnen leicht machten, durch unberechtigte Überweisungen Geld auf eigene Konten zu schaffen. Die auf diese Weise in den Jahren 2009 bis 2011 angerichtete Schadenssumme soll sich insgesamt auf 605 688,60 Euro belaufen.
Als Täterinnen angeklagt sind eine heute 54-jährige Sprockhövelerin und eine 56 Jahre alte Hattingerin, beide ehemalige Mitarbeiter des Jobcenters. Außerdem sitzen der Ehemann und der Sohn der Sprockhövelerin als Helfer auf der Anklagebank, die die Taten mit Rat und Tat unterstützt haben sollen.
Gemeinschaftlich, so der Tatvorwurf, sollen sie in 408 Fällen „in arbeitsteiliger Arbeitsweise“ Beträge auf verschiedene Konten überwiesen haben, die der Sprockhöveler Familie zuzuordnen sind. Dies soll möglich gewesen sein, weil die beiden Frauen an der zuständigen Stelle im Jobcenter arbeiteten und dort wirksame Kontrollmechanismen fehlten. Dem Sohn werden 97 Fälle vorgeworfen, in denen er die Taten als Inhaber eines Kontos ermöglicht haben soll.
Nachdem zu Beginn der Verhandlung hinter verschlossenen Türen in einem Rechtsgespräch der Prozessparteien mit dem Gericht über eine Schadenswidergutmachung verhandelt worden war, widersprachen sich die Angeklagten in ihren Aussagen zum Teil deutlich. Während die Sprockhövelerin und ihr Mann die Taten im Großen und Ganzen einräumten, bestritt die zweite Angeklagte den Vorwurf mit Nachdruck. Sie habe sich lediglich privat bei ihrer Arbeitskollegin eine Summe von 25 000 Euro geliehen, gab sie zu Protokoll und erklärte kategorisch: „Ich bin unschuldig“.
Der Mann der anderen Angeklagten gab dagegen zu, Konten eingerichtet und mehrere Geldbeträge in bar an die Kollegin seiner Frau übergeben zu haben.
Der Sohn der Familie, der ein Transportunternehmen betreibt, will von den ganzen Transaktionen nichts gewusst haben. Seine Mutter habe für ihn sämtliche Büroarbeiten einschließlich der Finanzen erledigt und er habe ihr blind vertraut, sagte er.
Die geständige Angeklagte beschrieb die Abläufe aus ihrer Sicht als gemeinsam mit ihrer Kollegin verübte Taten. Die Idee sei entstanden, als sie selbst als Inhaberin einer Dienstleistungsfirma einen Zuschussbetrag irrtümlich mehrfach erhalten habe. Danach habe man sich verabredet, immer dann einen Betrag auf eigene Konten zu überweisen, wenn eine der beiden Geld benötigte und die Beträge dann jeweils zu teilen. Wenn die interne Kontrolle im Jobcenter besser gewesen wäre, wäre alles viel eher aufgeflogen, gab sie zu.
Wie am Rande des Prozesses zu erfahren war, hat die Sprockhöveler Familie das Geld vor allem in ihr Haus und in Urlaube investiert. Nachbarn sollen sich schon gewundert haben, wie die Familie ihren hohen Lebensstil finanziere.
Nach einer längeren Beratungspause erklärte sich das erweiterte Schöffengericht des Amtsgerichts für sachlich nicht zuständig. Aufgrund des hinreichenden Tatverdachts der gemeinschaftlichen und gewerblichen Untreue und der hohen Zahl der Fälle sei — anders als aus Sicht der Staatsanwaltschaft — ein Strafmaß von mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe zu erwarten, stellte das Gericht in seinem Beschluss fest. Da die Obergrenze beim Amtsgericht aber bei eben diesen vier Jahren liegt, muss nun das Landgericht Hagen den Fall übernehmen.