„Man lässt sich auf eine Reise ein“ Die Stadt Kempen sucht dringend Pflegefamilien
Kempen · Es gibt zu viele Kinder, deren Wohl bei den leiblichen Eltern nicht gewährleistet ist – aber zu wenige Familien, die als Pflegefamilien einspringen können. Warum Symone Mühlenhaus mit Hingabe Pflegemutter ist.
(ure) Es gibt unterschiedliche Gründe, warum Eltern mit der Erziehung ihres Kindes oder ihrer Kinder überfordert sind. Grundsätzlich stehen ihnen dann die sogenannten Hilfen zur Erziehung zu. In der Regel fällt die Zuständigkeit hierzu in das jeweilige Jugendamt der Kommune. Das ist auch bei der Stadt Kempen nicht anders. Auch außerhalb der Familie werden Hilfen angeboten, denn: „Ist eine dem Kindeswohl entsprechende Erziehung in der eigenen Familie nicht gewährleistet, kann das Jugendamt das Kind vorübergehend oder längerfristig in eine Pflegefamilie oder Erziehungsstelle geben“, notiert das Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend auf seiner Internetseite.
Aktuell sucht die Stadt Kempen neue Pflegefamilien. In einem Gespräch informierten Daniela Tschierschke, stellvertretende Leiterin für Soziale Dienste und Frühe Hilfen, sowie ihre Kolleginnen Alicja Zekorn und Antonia Kautz (beide Pflegekinderdienst) über die Rahmenbedingungen auf dem Weg zur Pflegefamilie. Mitgebracht hatten sie Symone Mühlenhaus, die schon seit zehn Jahren Pflegemutter ist. In dieser Zeit betreute sie Kinder vom Säuglingsalter bis zum zwölften Lebensjahr. Neben ihrer Familie gibt es in der Kempener Zuständigkeit derzeit noch 24 weitere Pflegefamilien, in denen 32 Pflegekinder betreut werden. Doch der Bedarf ist größer, als Pflegeltern zur Verfügung stehen. Deshalb sucht die Stadt Kempen nach weiteren Pflegefamilien.
Wer sich entscheidet, Pflegefamilie zu sein, der nimmt Kontakt mit dem Jugendamt, im Speziellen mit dem Pflegekinderdienst, auf.
In einem ersten unverbindlichen Gespräch werden neben anderem zunächst Motivation und Wünsche der künftigen Pflegeeltern erläutert, aber auch die Frage, ob ein kurzfristiger Bereitschaftsdienst oder eher eine langfristige Betreuung infrage kommt. Die Klärung dieser Frage ist eher als Grundlage eines längeren Prozesses zu sehen, bevor es zur tatsächlichen Betreuungssituation kommt.
„Man lässt sich natürlich auf eine Reise ein“, bestätigt Symone Mühlenhaus, selbst Mutter von sechs Kindern. Jugendamt und Familie verständigen sich über die Wünsche, über die Vorstellungen beider Seiten. „Wir konnten uns zunächst vorstellen, ein junges Kind aufzunehmen“, sagt Symone Mühlenhaus. Begonnen habe sie die Reise mit einem eineinhalbjährigen Kind. Darauf folgten zwei Geschwisterpärchen. Symone Mühlenhaus berichtet von der Entscheidung der Familie, ein Kind auf Dauer zu betreuen. „Seit Jahren haben wir nun eine weitere Tochter in unserer Familie.“ Für die Familie und vor allem für das Kind sei das Ziel Adoption eine sehr wünschenswerte Vorstellung. Warum ihre Familie gerne eine Pflegefamilie sei, beantwortet sie mit klaren Worten: „Wir haben unheimlich viel Platz in unseren Herzen frei. Wir wollen Geborgenheit, wir wollen Familie geben.“
„Jede Bewerbung einer Pflegefamilie ist sehr individuell“, sagt Antonia Kautz, man wolle sich nicht durch Standards einengen lassen. Es gebe vom Grundsatz her keine Obergrenze bezüglich des Alters, keine Voraussetzung für die Größe des infrage kommenden Kinderzimmers. „Für uns ist die persönliche Eignung sehr wichtig. Man sollte körperlich fit und in der Lage sein, mit kleineren Kindern umzugehen. Das bestätigt ein Arzt mit einem Attest“, sagt Antonia Kautz. Auch die Berufstätigkeit der Pflegeeltern sei per se kein Ausschlusskriterium, es müsse aber sichergestellt sein, dass beispielsweise ein Kita-Platz zur Verfügung steht. Pflegeeltern hätten zudem einen Anspruch auf Elternzeit, Kita- oder OGS-Betreuung. Daniela Tschierschke: „Wir stehen den Pflegeeltern die ganze Zeit zu allen Themen beratend zur Seite.“ Zugegeben: Der Prozess des Kennenlernens dauert eine Weile. Eine Eignung kann sich nur aus individuellen Voraussetzungen ergeben. Am Ende gilt: Pflegeeltern und Pflegekind müssen zueinander passen. Es gehe schließlich um das Wohl des Kindes. „Und, das darf man nicht vergessen, jedes Pflegekind trägt in irgendwelcher Art sein individuelles Päckchen“, sagt Alicja Zekorn.
Die Gründe, warum ein Kind vorübergehend oder auch langfristig in einer Pflegefamilie aufgenommen wird, sind sehr vielfältig. Beim ersten Kind im Hause Mühlenhaus sei die Mutter gesundheitlich sehr angeschlagen gewesen. Als diese kritische Phase überwunden war, kam das Kind zurück zur Mutter. „Wir haben immer noch einen herzlichen Kontakt und freuen uns zu sehen, wie die Kleine heranwächst“, erzählt Symone Mühlenhaus.
Ob eine Familie mit der Erziehung des Kindes oder der Kinder überfordert ist, entscheidet in der Regel der Allgemeine Soziale Dienst (ASD). Die Herausnahme eines Kindes sei allerdings immer die letzte Instanz. Dann kümmert sich der Kinderpflegedienst der Stadt Kempen sowohl um Pflegekind und Pflegeeltern als auch um die Herkunftsfamilie des Kindes. „Denn Hilfe braucht das Kind und in unserem ersten Fall auch die Mutter“, erklärt Symone Mühlenhaus. Deshalb sei ein Kontakt mit den leiblichen Eltern nicht unüblich.