Familiengeschichte 1938 auf offener Straße von der Polizei festgenommen

Wuppertal · Familiengeschichte: Metzger Levi Auerbach konnte fliehen, weil der Polizeivorsteher noch Schulden bei ihm hatte.

Auch die Mutter von David Auerbach, Ruth, stammte aus einer jüdischen Metzgerfamilie. Sie ist hier als Kleinkind ganz rechts auf dem Arm ihrer Mutter Sara Bach zu sehen, dazu neun Geschwister.

Foto: Stadtarchiv Mettmann/unbekannt

Um 1840 zog Levi Auerbach (1821–1888) als junger Mann und Metzgerlehrling in das Langerfelder Dorf. Er brachte es zu einer eigenen Metzgerei und kam sehr spät, erst mit 48 Jahren, zu Sohn Simon (1869-1946). Simon ging in Schwelm auf die Jüdische Schule. Die Familie besuchte, wie alle Langerfelder Juden, zum samstäglichen Sabbat und den anderen jüdischen Feierlichkeiten die Synagoge in Schwelm. Den vier Kilometer langen Weg erleicherte ihnen ab 1897 die „Elektrische“, eine eingleisige Straßenbahn von Barmen nach Schwelm. Auerbachs stiegen gleich hinter ihrem Haus ein, gelegen rückseitig und unterhalb der Langerfelder Kirche.

Metzgerei und Handelsgeschäfte brachten Levi ein solides Vermögen und ein großes Haus ein, das er bei seinem Tod dem 19-jährigen Simon hinterließ. Der riss das elterliche Fachwerkhaus bald ab und errichtete 1903 die heute erhaltenen Häuser Kurze Straße 2 und 4. Hier gründete er eine Familie mit vier Kindern, Ludwig, Julius, Clara und Rosa. Sohn Julius (1906-1991) sollte den Familienberuf fortführen und erlernte das Handwerk in der elterlichen Metzgerei. Geschlachtet wurde hinter dem Haus. Noch heute besitzt Dr. David Auerbach in Florida zwei rostige Schlachtbeile aus Langerfelder Zeiten.

Vater Simon und Mutter Rosette erfuhren im Dezember 1938 mit Entsetzen, dass Julius von der Straße weg verhaftet worden war. Mord und Folter in den frühen Konzentrationslagern waren zu dieser Zeit schon bekannt. Mit anderen jungen jüdischen Männern wurde Julius auf der benachbarten Polizeistation festgehalten. Der örtliche Polizeivorsteher hatte bei Simon noch private Schulden und bot ein diskretes Tauschgeschäft an. In der Nacht ließ er Julius frei. Der floh umgehend mit seiner Frau Ruth über die Grenze nach Frankreich. Beide emigrierten in die USA.

Auch die drei Geschwister von Julius konnten noch rechtzeitig in die Emigration entkommen. Gemeinsam gelang es ihnen, zu letzter Gelegenheit auch den alten Vater Simon aus Langerfeld und Deutschland herauszuretten. Ein Visum für die USA war Simon verwehrt, seine Flucht führte ihn zunächst nach Kuba. Erst 1943 konnte er zu den Kindern in New York aufschließen. Alle kamen in der Bronx unter, in einer weitgehend jüdischen Nachbarschaft.

Geflucht wurde auch in
New York noch auf Deutsch

Julius und Ruth jobbten einige Jahre, bis sie genügend Geld gespart hatten, um sich ein eigenes „Delicatessen“ zuzulegen, ein Kleinst-Geschäft für Waren des täglichen Bedarfs. Als besonderen Service würde hier Julius seinen Kunden auch schonmal fachgerecht einen Truthahn tranchieren. Keinen einzigen Tag Urlaub genehmigte sich das Paar über 20 Jahre hinweg, sie hielten ihren Laden sieben Tage die Woche von morgens 7 bis abends 9 Uhr geöffnet, selbst an Chanukka, Pessach und Yom Kippur.

Mit Sohn David, der die ersten 15 Lebensjahre in der Bronx verbrachte, sprachen die Eltern ein Gemisch aus Deutsch und Englisch. Geflucht wurde verlässlich auf Deutsch. Auf den Tisch kamen viel Fleisch und Kartoffeln, besonders gerne auch Leberwurst und Matjesfilet. Nur sprechen mochten die Eltern, so erinnert sich Dr. David Auerbach, über Deutschland und die Langerfelder Heimat nie mehr.