Alle Vögel sind früh dran

Amsel, Drossel, Fink und Star trällern jeden Morgen aufs Neue los — und das im Winter. Das milde Wetter bringt sie aus dem Rhythmus.

Wuppertal. Fünf Uhr, der Wecker klingelt, die Vögel zwitschern. Da fragen sich in den letzten Tagen nicht nur Frühaufsteher: „Ja ist denn schon Frühling?“ Nein, es ist tiefster Winter. Auch, wenn bei zehn Grad die Daunenjacke im Schrank bleibt. Nicht nur auf die Garderobe haben die für Januar viel zu warmen Temperaturen Auswirkungen. Die Vögel sind in Balzstimmung.

Im Garten von Reiner Leppert, erster Vorsitzender des Nabu-Stadtverbandes Wuppertal, singen die Kohlmeisen-Männchen um die Wette, beziehungsweise um die Weibchen. „Durch das milde Wetter kommen die einfach etwas durcheinander“, sagt der Experte vom Naturschutzbund (Nabu). Die Frühlingsgefühle der Vögel sind aktiviert.

Und anders als im vergangenen Jahr, als eine dicke Schneedecke die Futtersuche erschwerte, haben sie jetzt auch Zeit, auf Brautschau zu gehen. „Sie sind nicht den ganzen Tag mit der Suche nach Insekten und Samen beschäftigt, weil das Angebot momentan sehr reichhaltig ist“, bestätigt Biologin Karin Ricono vom Ressort Umweltschutz der Stadt.

Nach dem harten Winter 2010/2011 können die Vögel eine Kälte-Verschnaufpause gut gebrauchen. „Viele sind verhungert. Einige Arten wie der Eisvogel, der Gewässer als Nahrungsquelle braucht, können sich jetzt erholen und die Verluste ausgleichen“, erklärt die Biologin.

Der Amsel hilft die schneefreie Zeit nur bedingt — ihre Population hatte bereits unter dem trockenen Frühjahr und dem regenarmen Herbst zu leiden. Das machte die Nabu-Aktion „Stunde der Wintervögel“ deutlich, bei der Hobby-Ornithologen am vergangenen Wochenende im heimischen Garten Vögel zählen sollten. „Ich selbst habe nur ein Amsel-Männchen entdeckt. Bei der

letzten Zählung waren es deutlich mehr“, sagt Reiner Leppert, der in Cronenberg wohnt. Allerdings konnten die Wuppertaler insgesamt weniger Vögel in ihrem Garten oder auf ihrem Balkon beobachten — und das gerade aufgrund der paradiesartigen Futterbedingungen. Denn die Tiere finden in Waldgebieten und auf Feldern genügend Nahrung und sparen sich den Weg in die Stadt.

Der Zilpzalp, die Rotdrossel oder der Star sparen sich weitaus größere Strecken. Wie viele Zugvögel fliegen sie erst gar nicht Richtung Süden. Das könnte sich ändern, wenn der Wintereinbruch doch noch kommt. „Dann ziehen einige Schwärme sicherlich los“, prognostiziert Reiner Leppert.

Die milden Temperaturen haben aber nicht ausschließlich positive Auswirkungen auf die Vogelwelt. Keime können sich schneller vermehren und gefährliche Pilzerkrankungen verursachen. „An Futter- und Trinkplätzen stecken sich die Tiere gegenseitig an“, erklärt Leppert. Karin Ricono ergänzt: „Auch der Dauerregen ist nicht unbedingt gut für die Vögel. Das Gefieder kann nicht durchtrocknen, das Einfetten der Federn wird erschwert. Ein Parasitenbefall ist möglich.“

Bei einem Punkt sind sich die Experten nicht einig: Ob das frühe Balzverhalten auch eine frühe Paarung bedingt. „Es kann schon sein, dass wir im Februar die ersten Gelege haben“, meint Leppert. Die Biologin der Stadt glaubt das nicht: „Die Fortpflanzung hängt eng mit den Lichtverhältnissen zusammen. Erst müssen die Tage länger werden.“

Insgesamt sei die Brutzeit in den vergangenen Jahren schon nach vorne verschoben worden. „Das hängt aber mit dem Klimawandel allgemein zusammen.“ Sollten doch nicht wie normal im März, sondern schon einen Monat zuvor kleine Schnäbel aus Nestern ragen, könnte ein später Frost die Küken töten. „Aber die meisten Arten können mehrmals im Jahr brüten“, beruhigt Ricono. Bis dahin genießen Frühaufsteher das morgendliche Zwitschern.