Als die Welt in Fukushima noch in Ordnung war

Die Musiker des Wuppertaler Sinfonieorchesters waren im Oktober auf Tournee in Japan. „Das hätte auch passieren können, als wir da waren.“

Wuppertal. „Das hätte auch passieren können, als wir da waren.“ Hartmut Müller ist sichtlich ergriffen. Der Solo-Tubist des Sinfonieorchesters, der im Oktober zusammen mit seinen Kollegen durch Japan tourte, sorgt sich nicht nur um die Opfer, die dort nun ums Überleben kämpfen. Er macht sich auch viele Gedanken darüber, was gewesen wäre, wenn sich die Naturkatastrophe fünf Monate früher ereignet hätte. „Plötzlich wird einem klar, wie schnell man in etwas hineingezogen werden kann, mit dem man nicht rechnet“, sagt der Tubist, der am 11. Oktober 2010 in Fukushima aufgetreten ist.

„Natürlich fühlt man ganz anders mit, wenn man die Plätze und die Menschen kennt.“

Damals wusste Müller noch gar nicht, dass die Stadt im Nordosten von Honshu, der Hauptinsel von Japan, überhaupt ein Atomkraftwerk hat. Inzwischen weiß er, dass Katastrophenmeldungen eine ganz andere Bedeutung erhalten, wenn man einen persönlichen Bezug hat: „Natürlich fühlt man ganz anders mit, wenn man die Plätze und die Menschen kennt.“

Vier Mal war er im Land der aufgehenden Sonne — zwei Mal zusammen mit dem Sinfonieorchester. Auf der jüngsten Reise machten die Musiker auch in Fukushima Station — ein Auftritt, den Müller nie vergessen wird. Nicht nur, weil in Fukushima inzwischen gegen den atomaren Super-Gau gekämpft wird, sondern vor allem, weil die Wuppertaler dort mit offenen Armen empfangen worden waren. „Als wir am Konzerthaus ankamen, wartete schon ein Japaner auf mich“, berichtet Müller. „Es war ein engagierter Laien-Tubist, dem ich ein Begriff war. Er hatte sich extra einen Tag Urlaub genommen, um unser Konzert zu hören.“ Und vor allem: Er war nicht mit leeren Händen gekommen, sondern hatte japanische Süßigkeiten dabei, die er seinem Vorbild strahlend überreichte.

Im Gegenzug wollte der Sinfoniker seinem treuen Fan eine CD seines Tuba-Quartetts schenken. „Aber er lehnte sie ab. Er hatte sie schon.“ Müller erzählt es mit Stolz, aber mehr noch mit Sorge. „Wenn ich heute die furchtbaren Bilder aus Japan sehe, frage ich mich natürlich, was aus dem Mann geworden ist.“

Auch Gabriela Ijac, die nach dem Mahler-Programm mit viel Applaus gefeiert wurde, erinnert sich mit gemischten Gefühlen an den Saal, dem die Sinfoniker wegen der Kacheln an der Wand prompt den Spitznamen „Schwimmbad“ gaben: „Man wird nachdenklicher und fängt an, über das Nicht-Entkommen vom eigenen Schicksal zu philosophieren. Es hätte uns ja alle erwischen können.“

Ob es eine dritte Tournee geben wird, ist noch offen. „Die letzte war sehr erfolgreich — auch wirtschaftlich“, betont Orchesterdirektor Heiner Louis. „Aber häufiger als alle drei Jahre können wir das nicht stemmen.“ Es gebe positive Signale aus Japan, jedoch noch keine konkreten Verhandlungen. Mit Blick auf die aktuellen Ereignisse müsse man ohnehin erst einmal abwarten.