Geschichte Als Uhrendiebe an der Wupper zum Tode verurteilt wurden

Wuppertal · Historiker Michael Okroy nahm Interessierte mit auf einen Rundgang von Landgericht zu Polizeipräsidium.

 Michael Okroy klärte bei einem Rundgang über die Justizgeschichte in Wuppertal auf.

Michael Okroy klärte bei einem Rundgang über die Justizgeschichte in Wuppertal auf.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Das historische Gebäude des Elberfelder Landgerichts ist eines der ältesten Gerichtsbauten Deutschlands. Als das Haus 1854 eingeweiht wurde, konnten die Menschen das Gericht noch durch die Loggia betreten, die über dem heutigen Eingang liegt. Es war ein offener Zugang. Hier sollte Recht nicht hinter verschlossenen Türen im Versteckten gesprochen werden, sondern in der Öffentlichkeit, für alle frei zugänglich. Doch einige Jahrzehnte später wurde das Ensemble der Justizgebäude an der einstigen Stadtgrenze zwischen Elberfeld und Barmen zu einem Zentrum des Unrechts. Michael Okroy, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Begegnungsstätte Alte Synagoge, nahm eine Gruppe von rund 20 Teilnehmern mit auf eine düstere Zeitreise mit dem Titel „Justizunrecht und Massenmord“ und spazierte mit ihnen vom Landgericht zum Polizeipräsidium. Die eigentliche Reise passierte aber vor den inneren Augen der Zuhörer. Okroy bezeichnete das Landgericht als einen „Brennspiegel“ der Rechtsgeschichte, an dem sich die Prägungen der Zeit von der Kaiserzeit über die Weimarer Republik und bis später in die Nachkriegszeit offenbarten. An diesem Nachmittag konzentrierte sich der Blick in den Spiegel allerdings auf die NS-Zeit.

Bereits im März 1933 setzte sich der Unrechtsapparat der NSDAP in Gang. Die Präsidenten der Oberlandesgerichte wurden aufgefordert, jüdischen Richtern nahe zu legen, sich beurlauben zu lassen. Mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurden bis 1935 im Oberlandesgerichtsbezirk Düsseldorf insgesamt zehn Richter entlassen. Dass der Übergang in die Diktatur der Nationalsozialisten in Wuppertal ohne große Hindernisse gelang, lag auch an dem seit 1922 amtierenden Landgerichtspräsidenten Karl Eduard Kleinschmidt. Okroy berichtet: „1933 hat man sich hier ohne große Widerstände bereitwillig der Regierung angeschlossen.“ Plötzlich waren vor dem Gesetz nicht mehr alle gleich, viel mehr galt nach den Grundsätzen der Nationalsozialisten die „Gleichheit Gleicher und die Ungleichheit Ungleicher“. Das Gesetz leitete seine Werte aus „Rasse, Blut und Boden“ ab. Noch heute erinnert ein Mahnmal an die Gewerkschaftsprozesse, bei denen zwischen 1935 und 1937 mehr als 600 Männer und Frauen wegen der Vorbereitung zum Hochverrat zu harten Strafen verurteilt wurden. So wurde der kommunistische Widerstand in der Region niedergeschlagen.

Ab 1942 wurde an der Wupper kurzer Prozess gemacht. Wortwörtlich. Denn seitdem wirkte ein Sondergericht an Ort und Stelle und sprach bis 1945 insgesamt 340 Urteile, davon 23 Todesurteile. Um den Duktus der damaligen Urteile vor Augen zu rufen, las Okroy ein Urteil vor, das 1943 gegen einen polnischen Zwangsarbeiter gesprochen wurde. Dieser wurde in den Tod geschickt, denn er missachtete die „Gastfreundschaft in verabscheuungswürdiger Weise“. Im weiteren Verlauf sprach das Gericht dem Angeklagten eine „abgrundschlechte Gesinnung“ zu und forderte die „Vernichtung des Angeklagten“. Der Mann hatte eine Uhr von geringem Wert mitgehen lassen.

Das Amtsgerichtsgebäude hat
eine düstere Vorgeschichte

Vor dem Amtsgerichtsgebäude standen die Teilnehmer der geschichtlichen Führung vor einem weiteren Haus mit düsterer Geschichte. Ab 1934 saß hier das Erbgesundheitsgericht. Das Ziel war es, „minderwertige Menschen“ aus dem „gesunden Volksstrom herauszulösen“, wie Okroy rezitierte. Zu den definierten erblichen Merkmalen, die zu einer Zwangssterilisation führen konnten, gehörten nicht nur körperliche Einschränkungen wie „Blind- und Taubheit“, sondern auch Alkoholmissbrauch und „angeborener Schwachsinn“. Okroy erklärte: „Beides war so vage, dass man damit ein starkes soziales Kontrollinstrument hatte.“ Über die Jahre gingen 6700 Anzeigen beim Erbgesundheitsgericht ein, wo beispielsweise der angeborene Schwachsinn mittels eines Intelligenzfragebogens ermittelt werden sollte. Es gab 5700 Beschlüsse zur Zwangssterilisation.

Das Ende des Krieges führte auch im Wuppertaler Justizapparat nicht zu dem Bruch, der vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Michael Okroy berichtete den Teilnehmern: „Kein Richter wurde zur Rechenschaft gezogen.“ Nach dem Krieg hatte man große Probleme, neues Personal zu finden und so hob die damals britische Regierung mit dem sogenannten „Huckepack-Verfahren“ ehemalige Nazi-Richter wieder ins Amt. Sie brauchten lediglich einen unbelasteten Richter mit dem zusammen sie Verfahren führen konnten. Selbst Richter des Sondergerichts waren wieder tätig. Nur der einstige Präsident Kleinschmidt wurde entlassen und durfte auch nicht weiter in seiner Funktion tätig sein - obwohl auch er den Weg zurück ins Amt suchte.

Auch der weitere Weg bis zum Polizeipräsidium war gesäumt mit geschichtsträchtigen Orten. So blieb die Gruppe in dem östlich an die Gerichtsinsel angrenzen Wohnviertel, in Höhe der Hausnummer Furter Hof 10, stehen. Das alltägliche Treiben kontrastierte Okroy mit den Worten: „Hier war 1932 einer der gefährlichsten Orte der Stadt.“ Den an Ort und Stelle befand sich damals ein leerstehendes Fabrikgelände, das von der Sturmabteilung (SA) als Kaserne genutzt wurde. Die Kampfaktionen des SA-Brigardenführers Willi Veller sorgten für bürgerkriegsähnliche Zustände auf den Straßen. Veller war unter anderem wegen versuchten Mordes vorbestraft, weil er aus dem fahrenden Auto auf politische Feinde geschossen hatte. Trotzdem wurde er 1933 zum kommissarischen Polizeipräsidenten der Stadt ernannt.

Einen weiteren Halt machte Okroy dann am Campus Haspel, wo die Nazis den Adolf-Hitler-Platz planten, das neue Zentrum zwischen Elberfeld und Barmen. Wegen des Krieges wurden die Pläne nie verwirklicht - im Gegensatz zu dem Vorhaben, die beiden Stadtkerne über eine ausgebaute Straße miteinander zu verbinden.