Wuppertal Andrea Lipp: Reiten wie an der Spanischen Hofreitschule in Wien
Andrea Lipp ist Reitlehrerin für die klassisch-barocke Reitweise. Am Montag und Dienstag tritt sie bei der Equitana auf.
Wuppertal. Eines fällt an dem dunkelbraunen Andalusier-Wallach Pardo sofort auf: Er wirkt nicht so, als wäre er tatsächlich 19 Jahre alt. Im Schnitt werden Großpferde 20 bis 35 Jahre alt, bei Sportpferden ist die Lebenserwartung viel geringer. Pardo aber macht den Eindruck, als sei er im besten Alter. Keine zehn Jahre, möchte man meinen. Laut seiner Besitzerin Andrea Lipp hat das einen ganz bestimmten Grund: ihre Reitweise. Andrea Lipp ist Reitlehrerin für die klassisch-barocke Reitkunst. Die Reitweise, die an der Spanischen Hofreitschule in Wien seit 450 Jahren kultiviert wird. Und die zeichnet sich vor allem durch eines aus: „Wir bilden auf absolut sanfte und partnerschaftliche Weise aus“, erklärt Lipp. Am Montag und am Dienstag tritt sie mit ihrem Pferd bei der Reitsportmesse Equitana in Essen auf.
Bei der klassisch-barocken Reitkunst halte man sich an das jahrhundertealte Wissen früherer Reitmeister, das sich schon immer durch die Sanftheit in der Vermittlung auszeichne. Piaffen, Capriolen und Levaden sind nur ein paar der Übungen, die die Pferde erlernen können. „Können, nicht müssen: Nicht jedes Pferd ist für jede Übung gemacht. Unter Zwang geschieht hier nichts.“ Ihren Pardo hat Andrea Lipp bekommen, als er elf Jahre alt war. „Damals war er ein völlig ängstliches Tier. Und seine Vorbesitzerin war ebenfalls ängstlich.“ Eine ungünstige Kombination, die Angst überträgt sich vom einen auf den anderen. Andrea Lipp hingegen kann man sich nur schwer ängstlich vorstellen. Sie strahlt viel Ruhe und Selbstbewusstsein aus, genau wie ihr Pferd. „Er ist über die Jahre wirklich ein anderer geworden. Wir reiten heute stressfrei durchs Gelände, er ist viel selbstsicherer geworden.“
Das sieht man auch an seinem Körper, der Wallach ist viel muskulöser und gesünder geworden. Auf ihre Webseite hat Lipp ein Vorher-Nachher-Foto gestellt. „Er musste viel lernen, vor allen Dingen, seinen angeschlagenen Rücken hochzubringen.“ Eine ideale Gymnastikübung dafür: Die elegante Piaffe, bei der das Pferd versammelt auf der Stelle trabt.
Die Zusammenarbeit mit dem Pferd setzt bei der klassisch-barocken Reitweise nicht immer das Reiten im eigentlichen Sinne voraus. Viel wird auch vom Boden aus an der Hand oder - und das ist die Königsdisziplin - am langen Zügel gemacht. Dabei steht der Mensch ganz dicht hinter dem Pferd, nur mit den Zügeln in der Hand. Zwischen Pferd und Reiter muss absolutes Vertrauen herrschen. „Hier hat man absolut keine Zwangsmittel zur Verfügung“, erklärt Lipp. Die brauche man bei ihrer Reitweise aber eh nicht. „Das Pferd wird so sanft trainiert, dass feinste Hilfen reichen, um klare Kommandos zu senden.“ Wildes Schenkel zusammenpressen oder der grobe Einsatz von Sporen verbietet sich. Und natürlich ist der hundertprozentig korrekte Sitz des Reiters dafür Voraussetzung.
Bei der Equitana ist Andrea Lipp nun zum dritten Mal zu Gast. Zum ersten Mal für eine Messe angefragt wurde sie im Jahr 2012 vom Landesverband für klassisch-barocke Reiterei Niedersachsen/NRW - damals ging es um die Messe „Hund und Pferd“ in Dortmund. „Ich war mir anfangs nicht ganz sicher, ob das für Pardo, der früher so ängstlich war, was ist. Aber wie sich herausstellte, ist er ein richtiges Showpferd“, so Lipp.
Ihr Reitlehrer ist kein geringerer als der Oberbereiter Andreas Hausberger von der Spanischen Hofreitschule. Erst im Jahr 2008 hat Andrea Lipp sich für ein Leben als Trainerin für Pferde und Reiter entschieden, vorher hat die Diplomkauffrau bei einem Energieriesen gearbeitet. „Das Reiten habe ich schon immer geliebt. Aber als ich die klassisch-barocke Reitweise entdeckt habe, war das wie ein Augenöffner.“ Keine Gewalt, keine Kraftanstrengung, kein übersteigerter Ehrgeiz, bei dem das Pferd zum bloßen Sportgerät degradiert wird.
Sie lernte den partnerschaftlichen Umgang mit den Tieren und war fasziniert davon, mit wie wenig Hilfen sie auskommen kann. Gewichtsverlagerung, Schenkel, Zügel, aber alles nur auf Sparflamme. Auch elementar: viel Zeit. „In Wien sind die Pferde erst mit zehn Jahren fertig ausgebildet. Das Alter erleben viele Sportpferde gar nicht erst.“ Die langsame, sanfte Methode stehe leider oft in schroffem Gegensatz zu dem, was in der modernen Dressur, wie man sie auf Turnieren sieht, praktiziert wird. „Auch da gibt es einige tolle Reiter“, sagt Lipp. „Trotzdem will ich nie wieder zurück.“