Analyse Vorurteile stehen einer Wiederbeschäftigung im Weg

Wuppertal · Analyse Universität erforscht Folgen von Sanktionen gegen Langzeitarbeitslose. Jobcenter hat Imagekampagne gestartet.

Foto: dpa-tmn/Jan Woitas

Wer in diesen Tagen mit seinem Auto auf der Talsohle unterwegs ist, der begegnet möglicherweise seinen eigenen Vorurteilen. „Langzeitarbeitslose haben keinen Bock“ heißt es auf Plakaten in fetten Buchstaben. Und etwas abgesetzt wird darunter der Satz in matter Schrift ergänzt: „auf Nichtstun“.

„Langzeitarbeitslose haben keinen Bock auf Nichtstun“ - so lautet die Botschaft, die in Variationen an vielen Stellen zu lesen ist. Mit der Initiative „fair eingestellt“ will das Jobcenter Einstellungen verändern. Der Hebel wird dort angesetzt, wo es vermutlich am meisten klemmt: Das Image der Langzeitarbeitslosen ist schlecht, sie werden von vielen Menschen als notorische Arbeitsvermeider eingeschätzt. Das mindert ihre Chancen, wieder in reguläre Arbeitsverhältnisse vermittelt zu werden.

Fast zeitgleich mit der Imagekampagne des Jobcenters Wuppertal hat das Bundesverfassungsgericht Karlsruhe die Hartz-IV-Reformen in einem wichtigen Punkt korrigiert. Das aktuelle Urteil regelt die Verhältnismäßigkeit von Sanktionen, die die Bezieher von Arbeitslosengeld II treffen können, wenn sie zumutbare Jobangebote abschlagen oder Meldefristen versäumen. Die Richter sprachen sich zwar nicht grundsätzlich gegen die Sanktionen und damit verbundene Kürzungen von Leistungen aus, aber sie korrigierten 16 Jahre nach der Einführung von Hartz IV das Ausmaß der von der Politik mehrheitlich so gewünschten Disziplinierung. Die bisherige gesetzliche Regelung sah die Kürzung um 60 oder gar um 100 Prozent der Bezüge vor, nun sind Kürzungen von nur noch bis zu 30 Prozent zulässig. Die Jobcenter sollen zudem flexibel entscheiden dürfen und familiäre Not oder Krankheiten berücksichtigen.

Langzeitarbeitslosigkeit ist in Wuppertal kein Nischenproblem. Rund 50 000 Erwachsene und Kinder leben in sogenannten Bedarfsgemeinschaften. 34 000 erwerbsfähige Wuppertaler beziehen Unterstützung, davon haben 13 500 Menschen seit mehr als vier Jahren keine Beschäftigung auf dem ersten Arbeitsmarkt und rund 10 000 seit mehr als sechs Jahren keinen „echten“ Job. Mit Beginn dieses Jahres bietet ihnen das Teilhabechancengesetz neue Perspektiven. Das Bundesarbeitsministerium finanziert über einen Zeitraum von fünf Jahren Stellen bei Unternehmen und Wohlfahrtsverbänden. Zum Ende des Jahres sollen es 300 sein, und der Plan für das kommende Jahr ist es, diese Zahl auf 400 bis 450 zu erhöhen, wobei ein Schwerpunkt auf gewerblichen Arbeitsplätzen liegen soll. Diese Ziele werden aber nur erreichbar sein, wenn die Arbeitgeber mitziehen - und daher zielt die Imagekampagne vor allem auch in Richtung der Wuppertaler Firmen.

Bergische Universität untersucht Folgen von Sanktionen

An der Bergischen Universität ist vor einem Jahr eine Studie angelaufen, an der insgesamt 500 Langzeitarbeitslose aus dem gesamten Bundesgebiet teilnehmen, die unter 5000 Bewerbern nach dem Zufallsprinzip ausgewählt wurden. „250 Personen erhalten von dem Verein ‚Sanktionsfrei’ im Falle von Sanktionen ihrer Jobcenter einen finanziellen Ausgleich. Die Kontrollgruppe mit ebenfalls 250 Personen bekommt keine Unterstützung“, erklärt Prof. Rainer Wieland die auf drei Jahre angelegte Studie. Die Befindlichkeit der Menschen werde alle drei Monate abgefragt, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu erzielen, welche Effekte das Erleben von Kontrolle über das eigene Leben oder der Kontrollverlust haben.

Prof. Rainer Wieland ist skeptisch, dass das Prinzip „Fördern und Fordern“, so wie vom Gesetzgeber gewünscht, funktioniert. Dass es nur bei drei Prozent der Langzeitarbeitslosen überhaupt zu Sanktionen komme, sei dabei nicht entscheidend. „Es werden alle permanent mit möglichen Sanktionen konfrontiert und das löst Stress aus, wie wir aus der Arbeitspsychologie wissen. Unternehmen seien längst davon abgerückt, ihren Mitarbeitern mit Sanktionen zu drohen. Stattdessen würde aktiv mit Vergünstigungen um Mitarbeiter geworben. Die Einstellung, dass das Prinzip „fördern und fordern“ bei Langzeitarbeitslosen wirke, sei tief in der Gesellschaft verwurzelt. Selbst 70 Prozent der Betroffenen seien überzeugt, dass alle Leistungsbezieher nur so zu reglementieren seien, beschreibt Rainer Wieland ein Phänomen, das darauf hinweist, wie tief die Vorurteile sitzen. Vorurteile, die langfristig kostspielige Folgen haben. „Die psychosozialen Probleme der Menschen von heute sind die ökonomischen Probleme von morgen“, sagt Prof. Wieland.