„Auch Drogenabhängige müssen in Würde leben können“
Jürgen Heimchen von der Elterninitiative für akzeptierende Drogenarbeit über den Kampf gegen die Sucht in Wuppertal.
Herr Heimchen, heute findet auf der „Platte“ am Wuppertaler Hauptbahnhof die zentrale Kundgebung des Gedenktages für verstorbene Drogenabhängige statt. Mittlerweile beteiligen 60 Städte an dieser Aktion. Das ist eine stolze Zahl. . .
Jürgen Heimchen: Richtig. Dieser Wert ist überragend und eine tolle Bestätigung unserer Arbeit. Als wir den Gedenktag 1999 ins Leben gerufen haben, hätte ich nie gedacht, dass sich das Ganze so positiv entwickelt. Das gilt übrigens auch für die Sucht- und Drogenpolitik in Wuppertal und die Unterstützung für unsere damals gegründete Elterninitiative für akzeptierende Drogenarbeit.
Können Sie das bitte ein wenig konkretisieren?
Heimchen: Wuppertal ist eine sehr soziale Stadt mit einer mittlerweile humanen und beispielhaften Drogenpolitik. Viele Menschen engagieren sich zu diesem Thema in Einrichtungen oder Selbsthilfegruppen. Auch zwischen den Gruppen untereinander und mit der Stadt gibt es eine tolle Zusammenarbeit. Das beste Beispiel ist doch der Gedenktag: Wir dürfen uns zu diesem pikanten Thema mitten in der Stadt präsentieren, erreichen viele Menschen. Das ist in vielen anderen Städten undenkbar.
Wie schätzen Sie die Entwicklung der Drogen- und Suchtarbeit während ihres nun schon 21 Jahre dauernden Engagements ein?
Heimchen: Die ist grundsätzlich sehr positiv. Mittlerweile sind wir in diesen Bereichen sehr gut aufgestellt. Dabei war die Anfangszeit sehr schwierig, wir hatten kaum Helfer und aus der Politik kam nur wenig Unterstützung. Das waren damals meist junge Sozialdemokraten wie Stefan Kühn oder Andreas Mucke und von den Grünen Thomas Lenz. Erinnern möchte ich aber auch an den verstorbenen Landtagsabgeordneten der CDU, Peter Brakelmann.
Was sind für Sie die wichtigsten Veränderungen in der städtischen Sucht- und Drogenarbeit?
Heimchen: Da ist vor allem die Installierung der Einrichtungen Café Döpps oder Gleis 1 zu nennen, mit deren Hilfe viele der rund 2000 Abhängigen in Wuppertal zumindest zeitweise von der Straße kommen. Die Einrichtung des Konsumraums im Gleis 1, in dem die Abhängigen unter Aufsicht und in einer sauberen Umgebung ihre Drogen nehmen können, ist ein Meilenstein. Das war früher undenkbar, darf aber nur der Anfang sein. Hier ist Wuppertal Vorreiter.
Sie waren einer derjenigen, die erfolgreich für das Gesetz zur geregelten Abgabe von künstlichem Heroin, dem Diamorphin, an Schwerstabhängige gekämpft haben. Welche Ziele hat Ihre Initiative für die Zukunft?
Heimchen: Wir arbeiten unter anderem für eine geregelte Heroin-Ausgabe in Wuppertal und für den Erhalt der bestehenden sowie die Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten auch für diejenigen Abhängigen, die es nicht schaffen, auf Dauer abstinent zu leben. Diese Menschen brauchen eine feste Tätigkeit, einen geregelten Tagesablauf. Sonst droht ihnen der Rückfall in Sucht und Beschaffungskriminalität.
Eine geregelte Heroin-Ausgabe dürfte schwierig zu realisieren sein.
Heimchen: Das ist uns bewusst. Die Stadt ist auf unserer Seite, aber allein eine entsprechende Facheinrichtung wäre sehr teuer. Man benötigt Ärzte, muss extreme Sicherheitsauflagen erfüllen. Das Geld für ein solches Projekt hat die Stadt bekanntermaßen nicht.
Warum ist Ihnen an einer geregelten Heroin-Ausgabe so sehr gelegen?
Heimchen: Es gibt Menschen, die Heroin wirklich brauchen. Denen hilft ein Entzug nicht, weil sie ohne Drogen schlichtweg nicht mehr leben können. Und wenn alles versucht wurde, muss auch drogenabhängigen Menschen ein Leben in Würde ermöglicht werden — notfalls eben mit Drogen. Nur so können Schwerstabhängige aus der Beschaffungskriminalität wie Raub oder Prostitution herauskommen. Dass Ärzte Heroin mittlerweile unter gewissen Voraussetzungen verschreiben dürfen, ist für mich der Beginn der Legalisierung.
Ihre Initiative fordert ja sogar offiziell die Legalisierung aller Drogen. . .
Heimchen: Absolut. Nur so ist eine bessere Kontrolle möglich. Schließlich wird auch die Ausgabe der Drogen Nikotin und Alkohol oder von Tabletten vom Staat kontrolliert. Das würde auch bei den anderen Drogen funktionieren. Drogen werden so oder so konsumiert, nur dass momentan die Mafia Qualität und Preise diktiert. Natürlich sollten Drogen allein in entsprechenden Facheinrichtungen und ab einem bestimmten Alter ausgegeben werden. Nur so können die Menschen lernen, mit Heroin oder Haschisch richtig umzugehen. Diese Entwicklung war bei Alkohol und Zigaretten nicht anders.
Was muss sich Ihrer Meinung nach in Zukunft noch ändern?
Heimchen: Es gibt noch einiges zu tun. Die Kinder- und Jugendpolitik muss grundsätzlich besser werden. Mein Sohn wurde beispielsweise damals nicht allein ein Opfer der Drogen, sondern auch der rückständigen Drogenpolitik. Allein in der Präventionsarbeit muss viel mehr getan werden. Auch bezüglich der Akzeptanz der Drogenabhängigkeit muss sich etwas ändern. Viele Eltern wollen die Abhängigkeit des eigenen Kindes nicht wahr haben oder geheim halten. Dabei gilt: Gelingt es, die Sucht zu akzeptieren, hat man endlich die Kraft, etwas für die Kinder zu tun.