Gründerpreis Ein Gründerpreis für einen Nicht-Gründer

Jörg Mittelsten Scheid ist für sein Lebenswerk ausgezeichnet worden und dafür, dass er Unternehmen jeder Generation als Vorbild dienen kann.

Archivfoto: Anna Schwartz

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Foto: Schwartz, Anna (as)

Wahrscheinlich gibt es zwei Möglichkeiten, wenn Jörg Mittelsten Scheid heute nicht 82 Jahre alt wäre, sondern 28. Entweder strebte er als Jurist die Professur in Völker- und Staatsrecht an. Mehr spricht allerdings dafür, dass er ein Unternehmen gründete. Dafür sei die Zeit vermutlich nicht besser gewesen als gegenwärtig, sagt er. „Heute ist die Unterstützung für Start ups so groß wie nie zuvor, nie gab es mehr Möglichkeiten“, sagt Mittelsten Scheid.

Vielleicht wäre aus ihm also wieder ein Unternehmer geworden, vielleicht anders als vor mehr als 50 Jahren. Damals musste sein Onkel den angehenden Wissenschaftler ein bisschen überreden, bei Vorwerk in die Geschäftsführung einzutreten. „Von Wirtschaft habe ich doch keine Ahnung“, erwiderte Mittelsten Scheid zunächst. Es scheint, als sei das eine gute Voraussetzung, um ungewöhnlichen Erfolg zu haben.

Vermutlich war es aber mehr der unverstellte Blick des Juristen, des Wissenschaftlers, des Nicht-Ökonomen, der Mittelsten Scheid irgendwie immer das Richtige entscheiden ließ. Die Gründung der akf-Bank, der Einstieg ins Kosmetik-Geschäft, der inzwischen digitalisierte Thermomix, die Verstetigung der Erfolgsgeschichte des Staubsaugers Kobold – all das fällt unter die Ägide Mittelsten Scheids. Und das meiste davon ist mit einer Wurzel des Vorwerk-Konzerns verbunden: „Ich habe den Direktvertrieb nicht erfunden. Ich habe ihn nur aufgeblasen“, sagt er.

Aber das seriöse Haustürgeschäft auf Augenhöhe mit dem Kunden und wenige, dafür aber hochwertige und hochqualitative Produkte waren die Basis für den seither stetig wachsenden Konzern. Heute beschäftigt Vorwerk 12 000 Menschen fest, arbeitet mit mehr als 600 000 Handelsvertretern zusammen und erwirtschaftet einen Umsatz jenseits der Drei-Milliarden-Euro-Grenze. Und all das verdankt Vorwerk im Grunde Jörg Mittelsten Scheid.

Dass so eine Leistung mit dem Deutschen Gründerpreis für das Lebenswerk ausgezeichnet wird, ist folgerichtig – zumindest für das zuständige Kuratorium. Mittelsten Scheid selbst war ein bisschen überrascht, aber umso erfreuter, auch für seine Mitarbeiter. „So ein Preis ist ja eine Ehrung für alle bei Vorwerk“, sagt er. Und bei ihm klingt das nicht wie eine Höflichkeitsfloskel. Dr. Jörg, wie alle bei Vorwerk ihn nennen und auch nennen dürfen, gehört zu den Erfolgreichen, die Erfolg teilen, auch weil sie wissen, dass sie nur so neuen Erfolg erzeugen können.

Für jemanden, der nach eigenem Bekunden keine Ahnung von Wirtschaft hat, sieht er die Dinge mindestens ebenso klar, wie die vielen Experten, die von Ahnung von Wirtschaft leben. Und was Mittelsten Scheid derzeit sieht, erfüllt den grundsätzlich optimistischen Unternehmer mit unüberhörbarer Sorge. Italien bereitet ihm Kopfzerbrechen, die hohen Schulden des Staates, die durch Vorhaben der neuen Regierung noch steigen werden. Die Türkei bedrückt ihn, deren Währung zusehends an Wert verliert. Und Mittelsten Scheid fürchtet, dass Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan schon aus purem Stolz nicht den Internationalen Währungsfonds um Hilfe bitten wird.

Frankreich wähnt Mittelsten Scheid auf dem falschen Weg, wenn es sich wie einige Staaten in Südeuropa Wachstum mit noch höheren Schulden erkaufen will. „Ich glaube, Europa zerfällt in zwei Teile, in Nord und Süd. Und ich hoffe, dass Frankreich dann noch zum Norden gehört.“

Auch weltweit gibt die Wirtschaft aus Sicht des Wuppertaler Unternehmers Anlass zu größter Sorge. Die Lage sei noch bedrohlicher als die in Europa. China, sagt er, werde sich das Gebaren von Donald Trump nicht gefallen lassen. Beim US-Präsidenten könne niemand vorhersagen, wie es weitergehe. Ein Handelskrieg zwischen China und Amerika? Das wäre auch für eine Export-Nation wie Deutschland eine schwere Hypothek.

Dass Mittelsten Scheid junge Menschen dennoch unverzagt ermuntert, den Schritt zum Unternehmer zu gehen, belegt, dass in dem erfahrenen Unternehmer doch der Optimismus überwiegt. „Es hat doch keinen Zweck, sich den Kopf über Dinge zu zerbrechen, auf die wir keinen Einfluss haben.“