Tanztheater Pina Bausch "Vollmond" - Eine Demonstration bester Tanzkunst
Das Tanztheater Pina Bausch zeigt wieder das Stück „Vollmond“ im Opernhaus. Die beeindruckende Aufführung wird stürmisch bejubelt.
Es war ein berauschender Abend, eine Demonstration dessen, wofür das Tanztheater Pina Bausch steht: Für Tanzkunst der Weltklasse, die das Publikum sprichwörtlich von den Stühlen reißt. In dem Stück „Vollmond“ mit all seinen für die legendäre Choreographin so typischen und zugleich beliebten Elementen boten die Tänzerinnen und Tänzer - fast alle waren schon bei der Uraufführung 2006 dabei - am Donnerstag im Wuppertaler Opernhaus eine überaus sehenswerte Wiederaufführung. Ließen so die aktuellen Streitigkeiten um Intendantin Adolphe Binder und ihre Kündigung vergessen. Sie wurden mit lang anhaltendem Applaus belohnt.
„Es ist Vollmond. Da wird man nicht besoffen“, gurrt Nazareth Panadero in roter, tief ausgeschnittener Robe, Stuhl und Glas in der Hand. „Ich glaube, es wird eine stürmische Nacht.“ Zwei sehr bekannte Sätze voller Wortwitz und Versprechen, die ihre Wirkung beim Publikum nicht verfehlen. Einladung in eine Nacht, in der an Schlaf nicht zu denken ist. Auch wenn die einzig mit einem riesigen Felsbrocken und einem quer geführten Wassergraben im hinteren Bereich „belebte“ Bühne meist in spärliches Licht vor schwarzem Hintergrund getaucht ist. Peter Pabsts nüchternes Ambiente gibt Raum für die Tänzer und ihre Wasserspiele, die sich nicht nur auf das schwungvolle Leeren von Wasserflaschen oder Fontänchen, die aus prall gefüllten Mündern sprudeln, beschränken. Sie wissen sich zu steigern, schöpfen das Nass aus vollen Eimern, robben, springen, gleiten oder tanzen durch die Fluten, enden schließlich in einer wilden Wasserschlacht, in der jeder jeden bespritzt. Derweil hat Dauerregen eingesetzt - an diesem Abend bleibt nur das Publikum trocken.
Wie man einen BH schnell öffnet, ohne hinzuschauen
„Vollmond“ ist ein stürmisches Tanzstück, das zugleich immer wieder ruhige Gegenmomente setzt. Dazu trägt wesentlich die Musikmischung bei - auch sie bekannt, durch den Film „Pina“ und die vielfach verkaufte CD. Ob Amon Tobin oder Tom Waits, René Aubry oder The Alexander Balanescu Quartett - die überwiegend instrumentalen Lieder untermalen stimmungsvoll die Tanzszenen, die meist mit einem Tänzer, einer Tänzerin beginnen. Gleich der Anfang ist symptomatisch: Zwei Männer betreten die Bühne, schwingen leere Wasserflaschen, bringen sie so zum Klingen. Ein dritter kommt hinzu, in beiden Händen Stöcke. Ein kraftvoller, hektischer Tanz entsteht, der Ansätze von Kampf und ausgelassenem wie anstrengendem (Kinder-)Rennen im Kreis hat. Die Männer haben in diesem Stück keinen einfachen Stand. Müssen sich abarbeiten - allen voran Rainer Behr und Jorge Puerta Armenta - verzweifelt, hektisch und einsam. Nur selten wird die Bewegung langsamer, ist ein kurzes Innehalten erlaubt, ohne eine Erlösung zu weisen. Altmeister Dominique Mercy bringt Melancholie und Resignation besonders eindrucksvoll zum Ausdruck.
Die Menschen kommen nicht wirklich zusammen, sie bleiben einsam, verloren, ihre Sehnsucht nach Liebe unerfüllt. Gefühle werden in ihrer Ausweglosigkeit spürbar. Küsse werden nicht erwidert oder im Überfluss und nur scheinbar hingebungsvoll in Hände, auf Münder geschmatzt. Berührungen sind hastig, Umarmungen verkrampft und ohne Halt, gehen ins Leere. Die Tänzerinnen haben in „Vollmond“ die Oberhand, drängen sich ins Spiel der Männer, kommandieren sie. Der Arm wird lasziv zum Anknabbern geboten (Julie Anne Stanzak), er (Fernando Suels Mendoza) wird mit hochhackigen Pumps (Azusa Seyama) entkleidet. Dabei entstehen durchaus komische Situationen. Etwa wenn Michael Strecker Azusa Seyama den BH öffnen soll - in enger Umarmung, ernst, sachlich, unaufgeregt und schnell. Leistung ersetzt Erotik.
Eine wahre Freude sind wieder die Momente, wenn alle 13 Tänzerinnen und Tänzer gemeinsam auf der Bühne sind und mit einem Lächeln im Gesicht die gleichen Bewegungsabläufe vollziehen - Erinnerungen an beliebte Polonaisen werden wach. Nicht zu vergessen das furiose Finale, in dem zuvor gezeigte Bewegungsabläufe in raschem Wechsel wie in Zeitraffer wiederholt werden. Bis zur Erschöpfung, bis alle klitschnass sind. Am Ende nimmt das Ensemble den tosenden Applaus entgegen - ernst, nur hier und da mit einem Lächeln im Gesicht. Panaderos Frage „Was ist besser – eine große Liebe, mit allem Drum und Dran, alles auf einmal, oder lieber ein bisschen Liebe jeden Tag?“ mag jeder für sich beantworten.