Umfrage in Zulieferbranche Die Schulen sind die „Achillesferse“ beim Homeoffice
Analyse | Wuppertal · Automotiveland.NRW stellt überraschende Ergebnisse einer Umfrage in der Zulieferbranche vor.
Stephan Alexander Vogelskamp legt den Finger in die Wunde. Der Geschäftsführer im Verein Automotiveland.NRW weiß aus eigener Erfahrung als Familienvater, dass die Schulen in Nordrhein-Westfalen zum Bremsklotz fürs Homeoffice werden. Grund: keine vernünftige Strategie für Distanzunterricht, sodass Eltern im Homeoffice zusätzlich belastet werden.
„Das ist eine große bundespolitische Baustelle“, beklagt er und kritisiert überdies die aktuelle Teilpräsenz vor Ostern in den Schulen, die eine unnötige Ansteckungsgefahr in sich birgt. Kinder könnten ihre Eltern infizieren, Produktionsketten würden brechen. Dabei gingen die Infektionszahlen schon jetzt in NRW wieder nach oben. Die Schulen seien die „Achillesferse“ des Konzepts, dass Homeoffice erfolgreicher Bestandteil der Arbeitswelt wird, so sein unverblümtes Fazit.
Automotiveland.NRW stellte jüngst die Ergebnisse der Befragung zum Homeoffice in der Zulieferbranche, insbesondere im Städtedreieck, in der Pandemiezeit vor. Befragt wurden rund zwei Dutzend Partnerunternehmen. Die Ergebnisse seien zwar nicht repräsentativ, so die Fachleute, aber belastbar. Die Befragung wurde in Kooperation mit der Bergischen Uni durchgeführt. Fragen wurden im Januar ausgearbeitet und an die Unternehmen verschickt, die bis Mitte Februar antworteten.
Hohe Defizite bei Digital-Ausstattung der Schulen
Den befragten Unternehmen war es wichtig, dass vor allem Alleinerziehende die Möglichkeit hatten, Kinderbetreuung und ihre Leistungen, die sie für den Betrieb erbringen, zu kombinieren. Dennoch hätten sie mehrheitlich die Erfahrung gemacht, so Vogelskamp, dass in der Praxis der Konflikt weiterhin bestand, was auf Kosten der Verfügbarkeit der Mitarbeiter im Homeoffice ging. Ein Chef erklärte: „Wir stellen fest, dass gerade Mitarbeiter mit Kindern gefühlt gerne ins Büro kommen, da Homeoffice mit Kindern eine extreme Mehrbelastung darstellt.“
Die meisten Defizite gebe es bei der Digital-Ausstattung der Schulen sowie beim Leistungsvermögen der öffentlichen Netz-Infrastruktur. „Der Erfolg von Homeoffice und digitaler Wertschöpfungsketten wird beeinträchtigt durch mangelhaftes Homeschooling“, betont Vogelskamp.
Insgesamt konnten bei den meisten Befragten zwischen 50 bis 100 Prozent der Mitarbeiter im Homeoffice tätig sein. Je klassischer der Betrieb ist, desto schwieriger war es, Homeoffice anzubieten, so das Ergebnis. Primär wurde in den Bereichen Verwaltung und Entwicklung zuhause gearbeitet. Hingegen in der Fertigung, dem Versand und dem Werkzeugbau ging der Homeoffice-Anteil gegen null.
Löblich sei gewesen, dass die Unternehmen ihren Beschäftigten nicht nur einen Laptop in die Hand gedrückt haben, sondern auch geeignete Software erwarben und die Arbeitsweise in den Abläufen integrierten. Ein Unternehmen richtete gar digitale Stempeluhren ein.
Unternehmen, die stärker ins internationale Geflecht eingebunden sind oder die mit standardisierten Prozessen arbeiten, hatten es einfacher, Arbeitsabläufe in die virtuelle Sphäre zu übertragen. Dennoch manifestieren sich in der fortschreitenden Digitalisierung auch Fallstricke. Beispielsweise das persönliche Treffen an der Kaffeemaschine sei nicht zu unterschätzen.
Die Frage, ob sich die Effizienz der Arbeit im Homeoffice verbessert oder verschlechtert habe, ergab kein einheitliches Bild. Zum einen bereiten sich Mitarbeiter besser auf Meetings vor und arbeiten strukturierter; weiterer Vorteil sei, dass zeitraubende Geschäftsreisen entfallen. Dennoch leide im Homeoffice oftmals die Kreativität, da die soziale Komponente als Salz in der Suppe fehle.
„Einige sehen gerade im Entwicklungsbereich, wo es oftmals auf Geschwindigkeit ankommt, den schnellen Informationsaustausch gefährdet“, erklärte Thomas Aurich, Technologiebotschafter bei Automotiveland.NRW. Unternehmen, die erst seit der Pandemie verstärkt auf digitale Arbeit setzen, stellen eine Mehrbelastung durch Homeoffice fest. „Ein Mitgliedsunternehmen bezifferte den Zeitverlust mit konkret 20 Prozent“, so Aurich.
Die meisten der befragten Zulieferer sehen keine Möglichkeiten, Homeoffice noch weiter auszubauen. Dies könne zu Störungen in der Lieferkette führen. Auf der anderen Seite sichern einige Unternehmen neuen Angestellten in der Verwaltung und im Engineering Homeoffice heute vertraglich zu. Eine gesetzliche Pflicht zu Homeoffice lehnen alle befragten Unternehmen rundweg ab.
„Wir waren begeistert, mit welch hoher Verantwortung, Geschwindigkeit und Flexibilität sich die Betriebe auf die neue Situation eingelassen haben“, resümierte Aurich und bezeichnete dabei die Zulieferbranche als „Leuchtturm“ der Digitalisierung. Ziel sei es, nach Corona das jeweils Beste aus der digitalen und analogen Welt miteinander zu verknüpfen.