Balkonsturz: Der Vater muss hinter Gitter
Gericht: Im Prozess gegen einen 42-Jährigen offenbarte sich eine Familientragödie.
Wuppertal. Die vom Weinen geröteten Augen der jungen Frau suchen den Blickkontakt. Doch ihr Vater schaut starr geradeaus. Gerade eben hat er den Schuldspruch samt Begründung gehört. Viereinhalb Jahre lautet das Urteil. Für das Gericht steht fest: Er hat im September des vergangen Jahres seine Tochter vom Balkon der elterlichen Wohnung in Elberfeld geworfen.
Acht Meter tief fiel die damals 16-Jährige. Sie überlebte den Sturz - ein kleines Wunder - und belastete ihren Vater schwer. Im Prozess stritt der 42-Jährige die Tat ab. Er habe seine Tochter vergeblich von einem Selbstmordversuch abhalten wollen.
Das Gericht glaubte diese Version nicht, legte dafür gestern schonungslos eine Familientragödie offen. Der Vater - ein Ende der 70er Jahre nach Deutschland gekommener Türke - lebe immer noch in einer Parallelwelt. Er ernährt die Familie, von Integration könne bei ihm keine Rede sein. Zwar hätten die drei Töchter keine Kopftücher tragen müssen, aber die Gleichberechtigung von Mann und Frau sei dem Angeklagten ein Fremdwort, hieß es gestern. Auf der anderen Seite steht seine Tochter. Sie fügt sich nicht in das traditionelle Patriarchat. Sie will ihr eigenes Leben führen, hat aber größte Schwierigkeiten damit.
Opfer-Anwalt Mustafa Kaplan
Das Gericht sagt klipp und klar, dass die junge Frau ganz dringend ärztliche Hilfe braucht, um ihr aus den Fugen geratenes Leben in den Griff zu bekommen. Vater und Tochter - das funktionierte einfach nicht. An jenem Septemberabend eskalierte der Dauerkonflikt. Und er ist, wie sich auch gestern zeigte, nicht im Ansatz beigelegt. Während seine Tochter geradezu hilfesuchend zu ihm herüberblickte, zeigte der Vater keine Gefühlsregung.
Opfer-Anwalt Mustafa Kaplan: "Die wichtigste Aufgabe des Vaters ist zu verhindern, dass die Tochter von der Großfamilie als Krebsgeschwür gesehen wird." Auch das Gericht bemühte sich um Schadensbegrenzung: Man solle die Verkettung der Umstände als Chance begreifen, hieß es gestern in der Urteilsbegründung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.