Barto spielt fesselnd und dynamisch

Bayer-Klavierzyklus: Pianist Tzimon Barto springt für den erkrankten Till Fellner ein und zieht das Publikum in der Stadthalle mit seinen Interpretationen in seinen Bann.

Foto: Stefan Fries

Auch das professionelle Musikbusiness kann gnadenlos brutal sein. Agenten agieren rein profitorientiert. Plattenfirmen schließen Knebelverträge ab. Hat ein Künstler einmal eine Krise, wird er wie eine heiße Kartoffel fallengelassen. Dann fällt er erst Recht in ein tiefes Loch. Der Weg zu Alkohol und Drogen ist schnell gefunden. Das ist zwar nicht die Regel. Es gibt aber solche Fälle. Pianist Tzimon Barto könnte ein Lied von der dunklen Seite des Geschäfts singen. Tragisch war auch der frühe Tod seiner Kinder. Viele Jahre war er raus aus dem Geschäft. 2006 stieg er dann wie Phönix aus der Asche, meldete sich wie neu geboren aufsehenerregend zurück.

Nun kam er statt des erkrankten Till Fellner im Rahmen des Klavierzyklus’ der Bayer-Werke in die Historische Stadthalle und demonstrierte eindrucksvoll, dass er mit zu den ganz Großen der internationalen Pianistenriege gehört.

Mit Werken von Jean Philippe Rameau brachte sich Barto wieder ins Gespräch. Damit kam er auch in den Mendelssohn Saal. Das Prélude in a-Moll aus „Premier livre de clavecin“ und aus den „Nouvelles suites de pieces de clavecin“ in A-Dur die Allemande und Sarabande sowie die Gavotte et Six Doubles in a-Moll stellte er vor. Der barocke Meister schrieb sie für das Cembalo, also klanglich und spieltechnisch nicht eins zu eins auf den modernen Konzertflügel übertragbar.

Etwa reduzierte Barto Verzierungen wie Triller und Vorschläge auf ein Minimum. Den nicht realisierbaren Cembaloklang ersetzte er dank seiner unglaublich sensiblen Anschlagkultur durch einen sehr nuancierten Umgang mit Dynamiken. Da also mit dem Flügel eine rein historische Aufführungspraxis nicht möglich ist, interpretierte er Rameau konsequent modern, ohne die barocken Züge außer Acht zu lassen.

Hier wie im gesamten Verlauf des Abends hätte man im Auditorium eine Stecknadel fallen hören können, so mucksmäuschenstill war es — keine Spur von Grippewelle oder Erkältungen. Das Publikum wurde voll in seinen Bann gezogen.

Großen Respekt zeigte er vor dem Notentext, den der zeitgenössische US-amerikanische Komponist Lowell Liebermann verfasst hatte. Sein „Nocturne No. 8“ (op. 85) aus dem Jahr 2003 spielte er musikantisch so deutlich, dass man jede Note mitverfolgen konnte. Die Hauptmelodie im Sopran kam ungemein sanglich daher wie die Gegenstimme im Bass.

Barto schlägt eine Bresche für selten aufgeführte Klaviersonaten aus der Feder von Joseph Haydn. Die Nummer 31 in As-Dur (Hob. XVI:46) hatte er mit im Gepäck. Die Tonsprache der Wiener Klassik brachte er klar zum Ausdruck, auch die thematischen Verfahren des Komponisten. Er ging aber noch weiter in die Tiefe. Ohne die großen musikalischen Linien zu vernachlässigen konzentrierte er sich auch auf selbst kleinste Motive, grenzte sie mittels kunstfertiger Betonungen und Phrasierungen voneinander ab. Dabei machten seine Wechsel von einem zart dahingehauchten Piano und intensiven Forte sprachlos.

Auch Robert Schumanns Humoreske in B-Dur (op. 20) ist im Konzertleben leider nicht oft zu hören. Denn an dieses ausgedehnte Stück mit einer etwa 30-minütigen Länge ohne Pause wagt sich nicht jeder heran. Die sieben ineinander gehenden sieben Teile kamen wie aus einem Guss von der Bühne. Die charakterlich starken Kontraste arbeitete er mustergültig heraus, indem er wie kaum ein anderer unter anderem warmes Feingefühl und kultivierte Klanggewalt miteinander konfrontierte.

Verständlich, dass er danach, nach diesem musikalischen Parforceritt, keine Zugabe spielte. Daran änderte auch der berechtigte lang anhaltende, frenetische Beifall inklusive etlicher Bravi nichts.