Besuch eines streitbaren Reisenden
Ernesto Cardenal las vor 400 Zuhörern in der Friedhofskirche.
Wuppertal. Ein schneeweißer Vollbart säumt sein Gesicht, auf dem Kopf trägt Ernesto Cardenal die charakteristerische Baskenmütze. Leicht gebeugt sitzt er am Tisch in der Elberfelder Friedhofskirche — und etwa 400 Zuhörer sind am Samstag gekommen, um die musikalische Lesung des Poeten, Politikers und einstigen Priesters zu hören. Zum vielleicht letzten Mal ist der 87-jährige nicaraguanische Dichter auf Lesereise in Deutschland. Mit musikalischer Unterstützung der Grupo Sal liest er in Wuppertal aus seinem 1200 Seiten starken Gesamtwerk „Aus Sternen geboren“.
Nach einer melancholischen Einleitung von Grupo Sal trägt Cardenal in insgesamt vier Leseblöcken aus Liebesgedichten seiner Jugendzeit vor, erzählt von der Komplexität und Ganzheitlichkeit der Welt und kritisiert — nach wie vor streitbar — Politik und multinationale Konzerne. Am Ende erhebt sich das Publikum und applaudiert minutenlang, bis Cardenal nach einer Zugabe von der Bühne tritt.
Sein Weggefährte Hermann Schulz, Schriftsteller und ehemaliger Verleger des Peter Hammer Verlages erinnert sich derweil, wie er vor mehr als 40 Jahren auf Cardenal aufmerksam wurde. „Ich war begeistert von seinem Mut und seiner Leidenschaft. Da habe ich mir Geld geliehen und bin nach Nicaragua gefahren.“ Lateinamerika sei zu dieser Zeit für ihn eine weltanschauliche Offenbarung gewesen — der Beginn der besonderen Beziehung zwischen Cardenal und Wuppertal.
Die Lesung in Elberfeld zeigte einmal mehr: Auch wenn Cardenals Texte schrammen das eine oder andere Mal haarscharf am Kitsch vorbeischrammen, sind sie doch von genialer Einfachheit.Er bemüht sich, für jeden verständlich zu sein und die Komplexität der Welt, der Religion und des Menschseins aufs Wesentliche zu reduzieren, ohne in eine dogmatische Haltung zu verfallen. Das macht seine Texte aus, ermutigt zum Engagement und bietet ebenso Trost wie erheiternde Denkanstöße.
“ Mehr Infos zu Cardenals Lesereise stehen im Internet.