Wuppertal Das Motto: „Unterschätze niemanden“
Eine besondere Führung durch die Tony Cragg-Ausstellung im Von der Heydt-Museum richtet sich an Menschen mit Demenz.
Wuppertal. „Das sieht aus wie eine Weintraube.“ „Nein, wie ein Dickdarm!“ Die Assoziationen sprießen nur so bei den Teilnehmern der Führung durch die Tony Cragg-Ausstellung im Von der Heydt-Museum. Diese rege Beteiligung konnte man nicht unbedingt erwarten, denn es ist — nach einem Probelauf im Mai — die erste Führung für Menschen mit Demenz. Acht Betroffene aus drei Wuppertaler Altenhilfeeinrichtungen sind mit Begleitern dabei — „mehr Teilnehmer sind nicht sinnvoll“, sagt Psychologin Monika Wilhelmi, Leiterin des Demenz-Servicezentrums Bergisches Land.
Ihre Einrichtung hat für das Modellprojekt die Kooperation mit dem Von der Heydt-Museum gesucht, weil Demenzkranke sonst kaum am kulturellen Leben teilnehmen können. Das war auch der Grund für Sozialdezernent Stefan Kühn (SPD), die Schirmherrschaft für das Projekt zu übernehmen: „Wir kümmern uns natürlich um Betreuungsstrukturen und Entlastung für die Familienangehörigen. Aber uns ist auch die Teilhabe am Leben ganz wichtig.“
Die Nachfrage ist jedenfalls groß. Das merkt Beate Eickhoff, Kuratorin am Von der Heydt-Museum, an den zahlreichen Anfragen, das hat auch Monika Wilhelmi gemerkt, als sie mit dem Projekt in die Altenheime gegangen ist: „Wir waren sofort ausgebucht.“ Demenzkranke, die zu Hause leben, sollen deshalb erst in einem zweiten Schritt für das Projekt angesprochen werden: „Ich fürchte, wenn wir das als öffentliches Angebot machen, können wir den Ansturm nicht bewältigen.“
Dagmar Winkler führt die Gruppe durch die große Tony Cragg-Retrospektive. Vor der blauen Skulptur „Castor und Pollux“ erzählt sie aus der griechischen Mythologie, im nächsten Raum spricht sie über die klassischen Materialien der Bildhauerei — und über die, die Tony Cragg verwendet: Kevlaer und Kunststoff.
An einem gelb-weiß marmorierten Objekt scheiden sich wieder die Geister der Besucher: „Das ist eine Blume.“ „Oder ein Insekt.“ „Das könnte eine Krake sein,“ wirft Eugen Mika ein, der sich mit einem Rollator durch die Ausstellung bewegt. Ihm gefällt der Ausflug gut, aufmerksam verfolgt er Dagmar Winklers Ausführungen: „Ich war früher nie in dem Museum, ich bin ja nicht von hier.“ Auch Christa Menn-Jäger fühlt sich angesprochen: „Es ist ein bisschen viel, aber auch schön. Früher haben wir ja viel unternommen und oft Ausstellungen besucht, wenn neben den Kindern und der Arbeit Zeit blieb.“
Monika Wilhelmi vom Demenz-Servicezentrum, das vom NRW-Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, den Pflegekassen sowie der Stiftung Tannenhof getragen wird, ist ganz wichtig, dass es eine möglichst normale Museumsführung bleibt: „Wir wollen ein kulturelles Erlebnis vermitteln.“ Andere Projekte verfolgen einen biografischen Ansatz — die demenzkranken Besucher werden vor den entsprechenden Bildmotiven gefragt, wie sie früher gewaschen oder geschrieben haben.
Dagmar Winkler spricht während ihrer Führung langsam und mit sanfter Stimme: „Ich wähle eine etwas einfachere, klare Sprache und vermeide Fremdwörter“, sagt die Kunsthistorikerin, die für die neuen Besuchergruppen eine zweitägige Fortbildung im Kunstmuseum Bonn gemacht hat und sich auf diese Führung „viele, viele Gedanken gemacht“ hat. Aber sie bleibt inhaltlich anspruchsvoll, geht auf die Formen- und Farbsprache ein, deutet Objekte. „Ich will nicht zu simpel werden, um den Menschen nicht ihre Würde zu nehmen.“ Ihr Grundsatz sei allerdings immer: „Egal, wen ich führe: Unterschätze niemanden.“ Und der Spaß dürfe nie zu kurz kommen. Entsprechend heiter gingen die Besucher dann auch ins Atelier zu Kaffee und Kuchen und zum Knetmaterial für die eigene Kreativität.