Das Ringen um Haltung und Gerechtigkeit

Dr. Uwe Becker und Norbert Walter-Borjans (SPD) diskutierten in der Citykirche.

Foto: Stefan Fries

Um „Große Texte“ sollte es gehen - und ging dann in vielen Teilen um Politik. Vor allem die der SPD. Denn Norbert Walter-Borjans, ehemaliger Finanzminister NRW war in der City Kirche zu Gast - und durfte viel über die Politik seiner Partei reden und über den vergangenen Wahlkampf mit Martin Schulz.

Es sollte an dem Abend um Gerechtigkeit gehen, um eine solidarische Gesellschaft, Verantwortung für Mitmenschen und die Rolle von Zivilgesellschaft und Kirche. Diskussionsgrundlage waren drei Texte: Das „kommunistische Manifest“ von Karl Marx und Friedrich Engels, die Bergpredigt von Jesus Christus und „Kapitalismus und Freiheit“ von Milton Friedman.

Uwe Becker, ehemaliger Wuppertaler Gemeindepfarrer und Professor für Diakoniewissenschaft, kam von der Bergpredigt zu Marx, von dem Streben nach Gerechtigkeit zur Kritik an den Zuständen. Er zählte in der Folge auf, was heute schief läuft - Niedriglohnsektor, Altersarmut, Kinderarmut, psychosomatische Krankheiten, geringe Rente. Trotzdem sei das Narrativ, dass Deutschland eine Erfolgsgeschichte sei in Sachen Wirtschaft.

Walter-Borjans ergänzte den Vortrag Beckers mit dem „nüchternen Blick eines Menschen, der gucken muss, wie finanziert man das?“. Er kritisierte die Haltung des Ökonomen Friedmans, der — ganz markthörig — nicht über Werte reden wollte. „Da fröstelt es mich“, sagte Walter-Borjans. Friedman, der für den völlig freien Markt war, habe ignoriert, dass keine Haltung auch eine Haltung sei. Der ehemalige Finanzminister sprach von einer Haltung, die nötig sei, um in der Politik Dinge zu ändern. Er habe das versucht mit dem Ankauf von Steuer-CDs. Das habe „Unruhe in den Teil der Gesellschaft bringen“ sollen. Denn Steuerhinterziehung sei ein Verbrechen an der Gesellschaft. Steuersünder sei der falsche Begriff, sagte er. „Sie nennen einen Kokainverkäufer auch nicht Drogensünder.“

Trotz des grundsätzlichen Charakters der Ausführungen, kam schnell die Frage auf die SPD an sich und den Wahlkampf von Martin Schulz. „SPD und Gerechtigkeit - da war auch nicht viel von übrig, oder?“, so die Moderatorin Ina Rottscheidt. Walter-Borjans sagte, das liege auch an der Meinungsgesellschaft, in der Gerechtigkeit kein Thema sei, um zu gewinnen. Es gebe „einflussreiche Kreise“ wie die Medien, die das unterdrückten, so dass es im Wahlkampf verkümmert sei.

Becker widersprach heftig. Wenn Schulz mehr Ideen eingebracht hätte, um Spitzenverdiener zu belasten und Geringverdiener zu entlasten, hätten mehr arme oder linke Menschen den Bezug zur SPD wiedergefunden. Er kritisierte die SPD als Mitinitiator der Alterarmut. So klangen auch die Stimmen aus dem Publikum.

Walter-Borjans hielt der Kritik stand. Er habe für Gerechtigkeit sorgen wollen. Und „wir dürfen uns nicht leisten, Gerechtigkeit aufzugeben“, kritisierte er etwa den Zwang zu Schuldenfreiheit.