Campus Wuppertal Der Elektrotechniker, der die Filmmusik veränderte

Wuppertal · Kirchenmusikdirektor Christoph Spengler über den Komponisten Maurice Jarre.

 Christoph Spengler wurde 2017 zum Kirchenmusikdirektor durch die Evangelische Kirche im Rheinland ernannt. Er trägt die Ehrenmedaille der Bergischen Uni.

Christoph Spengler wurde 2017 zum Kirchenmusikdirektor durch die Evangelische Kirche im Rheinland ernannt. Er trägt die Ehrenmedaille der Bergischen Uni.

Foto: Sergej Lepke

Der französische Komponist Maurice Jarre wurde am 13. September 1924 geboren. Vor allem durch seine Filmmusik ist er vielen Kinobesuchern bekannt. Was hat er denn so alles komponiert?

Spengler: Das Schaffen von Maurice Jarre war ungeheuer vielfältig, und so ist die Liste der Filmmusiken lang. Hier ist eine subjektive Auswahl der bekanntesten Filme, zu denen er die Musik komponierte: „Lawrence von Arabien“ (1962), „Doktor Schiwago“ (1965), „Die Reise nach Indien“ (1984), „Der Club der toten Dichter“ (1989), „Gorillas im Nebel“ (1988), oder „Ghost - Nachricht von Sam“ (1990).
Insgesamt hat er für über 150 Filme die Musik komponiert und dabei erstaunlich verschiedene Genres bedient. Er war als Komponist unter anderem so beliebt, weil es ihm stets gelang, die Atmosphäre und vor allem die Emotionen der Filme so gut einzufangen und dabei auch ungewöhnliche Wege - zum Beispiel bei der Auswahl der Instrumente - zu gehen.

Vor seiner Filmmusikkarriere hatte er bereits zwölf Jahre für namhafte französische Theaterproduktionen gearbeitet. Und trotz seiner anfänglichen Filmerfolge sollte er bei Laurence von Arabien nur die Zweitbesetzung sein. Warum?

 Viele kennen seine Filmmusik: Maurice Jarre

Viele kennen seine Filmmusik: Maurice Jarre

Foto: gemeinfrei

Spengler: Die erste Wahl des Regisseurs David Lean für den Film „Lawrence von Arabien“ war der britische Komponist Sir William Walton, der sehr bekannt war für seine opulenten und dramatischen Kompositionen, was für dieses Filmepos angemessen erschien. Auch Malcolm Arnold wurde in Betracht gezogen. Es kam aber mit beiden Komponisten zu Terminkonflikten, so dass sie nicht zur Verfügung standen.
So entschied sich Lean, Maurice Jarre eine Chance zu geben. Jarre hatte bis dahin vorwiegend in Frankreich gearbeitet und noch keinen internationalen Durchbruch erzielen können, daher war Lean anfangs skeptisch, ihm dieses große Projekt anzuvertrauen. Ihm wurden nur sechs Wochen Zeit gegeben, um zwei Stunden Orchestermusik zu schreiben. Die Musik wurde vom London Philharmonie Orchestra eingespielt. Die Musik brachte Maurice Jarre seinen ersten Oscar ein und wird heute als eine der größten Filmmusiken überhaupt angesehen. Sie rangiert auf Platz drei der Top-25-FIlmmusiken des American Film
Institutes.

Drei Mal hat er den Oscar für die beste Filmmusik erhalten. Dabei spielt auch ein ungewöhnliches Instrument, die sogenannten Ondes Martenot eine Rolle. Was war das für ein Instrument?

Spengler: Die Ondes Martenot - das heißt übersetzt „Martenot-Wellen“ - sind ein im Jahr 1928 vorgestelltes einstimmiges elektronisches Musikinstrument, das nach seinem Erfinder Maurice Martenot benannt wurde. Es wird in der ursprünglichen Version mit einem Ring bedient, der auf einem Draht sitzt und parallel zu einer darunter liegenden Tastatur, die aber nur zur optischen Orientierung dient, bewegt wird. Mit der rechten Hand wird der Ring geführt, die linke Hand kann Lautstärke und Klangregelungen machen. Der Klang erinnert ein wenig an eine singende Säge. Maurice Jarre und Elmer Bernstein sind die wohl bekanntesten Filmkomponisten, die das Instrument für ihre Musiken einsetzten.

Sein Song „Lara`s Theme“ aus dem Film „Doktor Schiwago“ wurde in den USA der „Peoples Choice Award“ als „bester Song aller Zeiten“ verliehen. Was macht ihn so besonders?

Spengler: Ich denke, dass das mehrere Gründe hat. Mir als Musiker fällt zuerst die ausgeklügelte Instrumentierung auf, und das ist ja zugleich ein so typisches Merkmal der Jarreschen Musik. So nutzt er zur Unterstützung der Melodie eine Balalaika, um ein russisches Lokalkolorit klanglich einzufangen. Darüber hinaus ist die Orchesterbesetzung durchaus opulent mit Streichern, Holzbläsern, Horn, Harfe, Klavier und sanften Perkussionsinstrumenten. Das schafft insgesamt auch eine große emotionale Tiefe und trägt die unglaublich einprägsame Melodie wunderbar. Die Melodie selbst ist nicht banal, sondern überrascht mit Chromatik und harmonischen Wendungen. Die Wirkung ist einerseits sehr romantisch, gleichzeitig weckt sie nostalgische Emotionen.

Wie so oft im Leben entschied auch er sich gegen den Willen seines Vaters zum Musikstudium, obwohl er keine Note auf dem Klavier konnte. Was hat er studiert?

Spengler: Maurice Jarre studierte zunächst Elektrotechnik - daher wohl auch seine Offenheit gegenüber elektronischen Instrumenten. Recht bald jedoch entscheid er sich gegen den ausdrücklichen Willen seines Vaters, am Conservatoire de Paris, einer der renommiertesten Musikhochschulen Frankreichs, einzuschreiben. Dort hatte er namhafte Lehrer, unter anderem den bedeutenden Komponisten Arthur Honegger. Neben dem Studium der Komposition wählte er Perkussion als sein Hauptinstrument.

Fachleute sagen, er habe ein Gespür für das Epische und Monumentale. Stimmt das?

Spengler: Nun, man muss sich nur anschauen, für welche Filme Maurice Jarre als Komponist beauftragt wurden, um zu verstehen, dass Regisseure um seine Fähigkeit wussten, dafür genau die richtige Musik zu schreiben. Er hatte ein unglaubliches Gespür dafür, sich in die Emotion und Dramatik eines Filmes einzufühlen und zur Grundlage seiner Komposition zu machen.
Dabei war er stets auf der Suche nach Möglichkeiten, die jeweilige Musik einzigartig zu machen, vor allem durch die Auswahl besonderer Instrumente, die zum Handlungsort oder zur besonderen Atmosphäre passten. Wie viele andere der ganz großen Filmkomponisten nutzte auch er als Grundlage eine große Orchesterbesetzung, die per se eine epische Breite ermöglicht.

In seinen späten Jahren widmete er sich vor allem sinfonischer Musik. Was verbinden Sie mit ihm?

Spengler: Was mich an Maurice Jarre begeistert, ist in der Tat sein Gespür für den ganz konkreten Film, für den er gerade komponiert. Hört man mehrere seiner Musiken, ist es weniger deutlich als bei anderen Komponisten, dass sie vom selben Menschen stammen.
Es gibt nur wenige Filmkomponisten, die so wandelbar sind wie er es war. Oft reichen nur wenige Takte, und man hat nicht nur Bilder, sondern eben auch dem Ort, die Atmosphäre und die Emotionen eines bestimmten Films wieder vor dem inneren Auge. Das zeichnet ihn aus meiner Sicht besonders aus.
Dadurch ist seine Musik zeitlos schön, und ich bin sicher, dass sie eine sehr lange Zeit überdauern wird.