Literatur Die Welt zwischen den Nachrichten: Buchpremiere mit Judith Kuckart auf der Insel in Wuppertal
Wuppertal · Die Welt zwischen den Nachrichten
Bei einer Lesung auf der Insel im Ada stellte die Schriftstellerin Judith Kuckart am Samstag ihren neuen Roman „Die Welt zwischen den Nachrichten“ vor.
„Ich denke, im Moment bin ich in einem Alter, in dem ich Erinnerungen erzählen kann, ohne bräsig zu werden“, sagt die Autorin auf Torsten Krugs Frage „Warum jetzt dieses Buch?“. Für Judith Kuckart war es der richtige Zeitpunkt, Erinnerungen auszugraben und zu verarbeiten. Reine Fiktion käme ihr zurzeit überflüssig vor.
Die Schriftstellerin hat sich entschieden, ihre Buchpremiere in Wuppertal stattfinden zu lassen. „Ich bin wahnsinnig gern in Wuppertal und hier auf der Insel“, sagt sie. Lesungen in Berlin und Potsdam folgen im Oktober. Vorher hat ihr Stück, das ebenfalls den Titel „Die Welt zwischen den Nachrichten“ trägt, am Theater Bremerhaven Premiere. „Was ist das Kostbare an der Welt zwischen den Nachrichten?“, fragt Krug, der als Moderator exzellent vorbereitet durch die Lesung führt. „Manchmal habe ich das Gefühl, ich werde zerquetscht zwischen den Nachrichten“, antwortet Kuckart und liest kleine Episoden ihres Romans.
Heimat: Erinnern, aber
auch vergessen wollen
„Dackel“ klingt beinahe lyrisch, „Apfelbaum“ beschreibt in sprachlich dichten Szenen die Welt in der Kleinstadt Schwelm, in die sie hineingeboren wird und in der sie aufwächst. „Im Hof legen sie mich unter einen Apfelbaum. Ich bleibe das einzige Kind.“ Die Autorin verbindet Erinnerungsstränge, wechselt Ebenen und Orte, schichtet sie um- und übereinander, verknüpft markante historische Ereignisse mit persönlichen Erinnerungen. Selbsterlebtes und zufällige Begegnungen werden verwoben mit Ausschnitten aus dem Weltgeschehen. Sie nimmt sich Zeit, wenn sie von Ina erzählt, der Apothekerstochter, die sonntags auf die kleine Judith aufpasst, weil ihre Eltern zum Tanzen ins Kolpinghaus gehen. Ina wird später zu einer der meistgesuchten Terroristinnen in der Bundesrepublik und wäre gerne Schauspielerin geworden.
Kurz vorher erwähnt Kuckart wie beiläufig den 2. Juni 1967: Die Familie sitzt mit Käsebroten vor der Tagesschau, als dort ein junger Mann zu sehen ist, der erschossen vor einem VW Käfer liegt. Ihre Mutter ist außer sich. „Wie immer, wenn sie Menschen in der Tagesschau tot oder sterben sieht“. Bilder aus „der kleinen Stadt S.“ durchziehen den Roman. Das Finanzamt von Schwelm, in der Nähe des Bahnhofs, taucht sogar beim Yoga vor Kuckarts Augen auf. „Was verbindest du mit Heimat?“, fragt Torsten Krug. „Es ist ein Teil Kindheit, es sind viele Dinge, Kraft, Erinnern, aber auch vergessen wollen. Rückkehr in die Heimat oder Suche nach Heimat“, sagt Kuckart, die auch in früheren Romanen und Theaterstücken schon am Thema Heimat gearbeitet hat.
Als sie von den Eltern, die „… nicht wussten, dass nach der Hochzeit eine Ehe kommt“, und vom Sterben ihrer Mutter liest, schafft sie eine intime, dichte Atmosphäre. Autofiktionales Erzählen ist zurzeit beliebt bei Autoren, da es zwischen Erlebtem und Fiktion, zwischen Vergangenheit und Gegenwart Freiräume lässt. Judith Kuckarts sehr bildhaft und dramaturgisch gestalteter Text gibt Lesern auch Impulse zum eigenen Erinnern. Mal erzählt sie poetisch, dann bodenständig mitten im Alltag der kleinen westfälischen Stadt. Ein trauriges Kapitel lässt sie mit einem Witz enden. Den zahlreichen Zeit- und Gedankensprüngen kann man mühelos folgen. Kuckart schreibt keine Verklärung der Vergangenheit, keine Hommage an sie. Alles wirkt gegenwärtig.
„Mit diesem Roman hast du dich ein kleines bisschen in Richtung Unsterblichkeit gearbeitet“, sagt Torsten Krug zum Abschluss der sehr gut besuchten Buchpremiere.