Der Klang portugiesischer Sehnsucht

Fadosängerin Carminho überzeugte im Skulpturenpark Waldfrieden mit ihrem Gesang voll Leidenschaft und Emotionen.

Foto: Karlheinz Krauskopf

In ihrem Heimatland Portugal ist Carminho in aller Munde. Aber auch überregional ist die Sängerin bei den Liebhabern des Fado sehr beliebt. So wunderte es nicht, dass neben den fast vollständig besetzten Stühlen vor der Open-Air-Bühne des Skulpturenparks Waldfrieden daneben viele Decken auf der Wiese ausgebreitet wurden. Man machte es sich lange vor ihrem Auftritt schon einmal gemütlich. Ein paar Tropfen fielen vom Himmel, Schirme wurden aufgespannt, Regencapes übergezogen. Doch die Wasserscheu war nicht nötig, handelte es sich doch nur um eine ganz kurze Episode.

Stattdessen musste Carminho — mit richtigem Namen Maria do Carmo de Carvalho Rebelo de Andrade — anfangs damit fertig werden, dass viele Sonnenbrillen auf der Nase hatten. Denn laut ihrer Erklärung ist der portugiesische Musikstil nachtaktiv, solch ein Augenschutz also dann für die Katz.

Wenn sie vom Fado spricht, nennt sie oft das Meer im selben Atemzug, weil beide gigantisch seien. Nun war es die Atmosphäre des Skulpturenparks mit seinen Bäumen und Plastiken, die sie inspirierten. Immer wieder erfreute sie sich während des Konzerts an diesem Ambiente.

Was für Spanien der Flamenco, für Griechenland das Rembetiko ist, ist für Portugal der Fado, der musikalisch das Lebensgefühl der kleinen Leute mit all seinen Höhen und Tiefen widerspiegelt. Um deren alltägliche Sorgen, Freuden, Erfahrungen glaubhaft zu vermitteln, müssen solche Zustände auf der Bühne emotional nacherlebt werden.

Carminho ist solch eine Sängerin, die solche Befindlichkeiten voll zur Entfaltung bringt. Das verwundert nicht. Denn ihr wurde der Fado mit in die Wiege gelegt, ist doch ihre Mutter ebenfalls eine bekannte Fadista. In den Fado-Häusern Lissabons ist sie groß geworden. Also sorgte sie dafür, dass das portugiesische Seelenleben von himmelhoch jauchzend bis abgrundtief betrübt auf Wuppertals grüner Erhebung Einzug hielt. Sie sang von Sehnsüchten nach einer besseren Welt, unerfüllter Liebe, über soziales Elend, und natürlich auch von der Saudate. Das Wort ist schwer übersetzbar, beinhaltet eine Menge nostalgischer Gefühle, Wehmut, Melancholie.

Dabei ließ ihre sonore, reife Stimme keine Wünsche offen. Sie war selbst dann tragfähig, als sie bei der Zugabe ohne Verstärkung von der Bühne kam. Alle Register waren bei leisen wie lauten Passagen entspannt-frei in sich ausgewogen. Ganz deutlich wurde diese Meisterschaft bei „Meu Amor Marinheiro“, das sie sehr ergreifend ohne Instrumentalbegleitung vortrug.

Beseelt lebte sie stimmlich die große Palette an Emotionen voll aus. Sie trauerte, lachte, sinnierte, träumte, gab sich lebensfroh und deprimiert absolut plausibel.

Üblicherweise wird der Fado-Gesang von einer akustisch-klassischen, einer portugiesischen und einer akustischen Bass-Gitarre (Viola baixo) begleitet. Diese Tradition lag in den Händen von Luis Guerreiro (portugiesische Gitarre), Flavio Cardoso (klassische Gitarre) und Bassgitarrist José Marino Freitas. Auch diese drei Instrumentalisten musizierten auf ganz hohem Niveau. Extrem hohe Virtuosität paarte sich mit außerordentlich großen musikalischen Spannungsbögen. Dabei achteten sie sorgsam auf Carminhos Stimme, die so ihre Gesangslinien entspannt gestalten konnte.

Von der ersten Minute an übertrug sich die intensiv-leidenschaftliche Musik voll aufs Publikum. Gebannt durchlebte es die mannigfaltigen Gemütsarten mit. Schließlich war es ganz aus dem Häuschen. Keinen hielt es mehr auf den Stühlen beziehungsweise auf dem Rasen. Standing Ovations waren der verdiente Dank für einen umwerfenden Abend.