„Der kleine Vampir“ treibt sein Unwesen im Schauspielhaus
Die Aufführung des beliebten Kinderbuch-Klassikers mit Gruselfaktor feierte am Freitag Premiere.
Wuppertal. „Lies doch mal ein Tierbuch“, empfehlen die Eltern Bohnsack ihrem Sohn Anton. Der aber liest viel lieber die unheimlichen Abenteuer des Grafen Dracula. „Der kleine Vampir“ Rüdiger von Schlotterstein — schlappe 146 Jahre alt — erobert die Wuppertaler Bühnen im diesjährigen Familienstück.
Das macht Intendant Christian von Treskow zur Chefsache und unterstreicht in seiner Inszenierung durch stark überzeichnende Rollen die Absurdität der Handlung. Das verstehen und genießen Erwachsene. Jüngeren Kindern kann zu viel Exaltiertheit Angst machen — zusätzlich zum Stoff mit Gruselfaktor.
Authentisch, und damit Identifikationsfigur für Kinder bleibt der schüchterne Anton (Mateusz Dopieralski): ein Jüngelchen in der Vorpubertät mit kurzer Hose und Kniestrümpfen. Kein Wunder, dass seine brav-bürgerliche Welt in Unordnung gerät, als der bleiche Rüdiger (Björn Lukas) eines nachts unter seinem Bett haust. Die aufkeimende Freundschaft muss Anton natürlich zunächst vor den extrem ängstlichen oder übertrieben euphorischen Eltern (An Kuohn und Ralf Grobel) geheim halten. Für den Jungen ein vorsichtiger Anfang, sich von den dominierenden Eltern zu lösen.
Dabei sind Rüdiger wie auch seine hübsche Schwester Anna (Amely Draeger), die sich prompt in Anton verliebt, durchaus keine blutsaugenden Ungeheuer. Anna ist zahnlos und trinkt am liebsten Milch: „Aber nicht mehr lange“, erklärt sie mit wissendem Grinsen. Die heile Welt der Familie Bohnsack ist ein teil- und verschiebbares Bühnenelement, das unter sich die Schlotterstein-Gruft mit ihren vier Särgen birgt (Bühne und Kostüme: Kristina Böcher).
Hier erwacht, in geheimnisvoll beleuchteten Scherenschnitt-Konturen, im Dunkeln die Vampir-Familie: Neben den Kindern der in Elvis-Manier rockende Lumpi (Hendrik Vogt, er ist auch der Schulfreund Udo), der immer nur spielen will und Oma Sabine. Die gibt - großartig in ihrer Doppelrolle - An Kuohn mit Rollator und herrlichen Gruftie-Kleidern. Sie findet alles nur „schrääääcklich“, weil sie stets Brille oder Gebiss verlegt.
Die Grabes-Unruhe stört allein der besessene Friedhofswärter Geiermeier. Mit lauter Stimme und wilden Gesten übersteigert Jochen Langner seine Rolle stark. Er will, mit Knoblauch-Kette und Pflock bewaffnet, den einzigen Vampir-freien Friedhof Europas schaffen.
Die Kinder im Premieren-Publikum am Freitagabend sind fasziniert, aber durchaus auch angespannt: Es ist eben doch ein Unterschied, ob man mit wohligem Grusel von Vampiren liest oder sie leibhaftig — und im Kleinen Schauspielhaus sehr nah — vor sich sieht. Gut, dass die flotten Songs von Bastian Wegner die Stimmung immer wieder entspannen.