Der Mann, der die Republik lahmlegte

Heinz Kluncker hat als Gewerkschaftsboss in den 1970er Jahren einen heute unglaublichen Erfolg erzielt: elf Prozent mehr Lohn für den öffentlichen Dienst.

Foto: Bundesarchiv

Für die einen ist er vermutlich immer noch ein rotes Tuch. Dabei ist Heinz Kluncker schon seit elf Jahren tot. Für die anderen lebt er immer weiter — als Held, als Idol, als begnadeter Vertreter von Arbeitnehmerinteressen gegenüber Arbeitgebern. Der starke Mann der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV, heute Verdi) hat 1974 elf Prozent mehr Lohn und Gehalt durchgesetzt — gegen den damaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher und gegen den erklärten Willen des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt.

So manch ein Beobachter wollte den Wuppertaler Gewerkschaftsführer nachher mitverantwortlich machen für den Rücktritt Brandts. Doch dessen Demission verursachte ein Spion aus dem Osten. „Günter Guillaume stand nicht auf der Gehaltsliste der ÖTV“, sagte Kluncker später.

Heinz Kluncker war Gewerkschafter, seit 1946 und bis zu seinem Tode im April 2005 in Stuttgart. 1925 als Sohn eines sozialdemokratischen Schlossers in Barmen geboren, geriet Kluncker 1944 in US-amerikanische Gefangenschaft, aus der er zwei Jahre später zurückkehrte. Kluncker war Industriekaufmann, er ar-beitete als Polizist, studierte Betriebswirtschaft und Jura, ab 1952 war er Sachbearbeiter bei der ÖTV in Stuttgart, deren Chef er schließlich mit erst 39 Jahren wurde.

Kluncker machte sich schnell einen Ruf als harter Verhandlungspartner. Mitte der 60er Jahre erreichte er die 40-Stunden-Woche und das 13. Monatsgehalt für den Öffentlichen Dienst. Verglichen mit dem Tarifkonflikt zehn Jahre später war das jedoch ein Kinderspiel.

Als Heinz Kluncker für die ÖTV-Mitglieder 1973 zu Felde zog, zählte Deutschland etwa 330 000 Arbeitslose. Die Abschlüsse anderer Gewerkschaften lagen regelmäßig bei zweistelligen Prozentraten. Die Wirtschaft wuchs um fünf und mehr Prozent. Von diesem leckeren Kuchen wollte die ÖTV auch ein Stück. Doch dann kam der Ölschock. Und als Klunckers ÖTV in die heiße Verhandlungsphase eintrat, hatte sich die Zahl der Arbeitslosen auf 620 000 fast verdoppelt, lag die Erwerbslosenquote bei heute paradiesisch anmutenden gut drei Prozent und betrug das Wachstum immer noch 1,5 Prozent.

Aber die von Kluncker geforderten 15 Prozent mehr Lohn und Gehalt passten nicht mehr in die Zeit. Deutschland schüttelte sich. Die Aussichten waren nicht mehr rosig. Und Bundeskanzler Brandt (SPD) bat um, nein, forderte Mäßigung, wollte erreichen, dass der Abschluss für den Öffentlichen Dienst wenigstens ein nur einstelliges Plus vorschrieb.

Der Kanzler verwies auf die durch den hohen Ölpreis angefachte Teuerungsrate, fürchtete, dass höhere Löhne zu weiteren Preissteigerungen führen könnten. Doch Kluncker blieb hart. Er legte die Republik lahm. Drei Tage im Winter 1974 streikten Müllwerker und Straßenbahnfahrer, insgesamt 200 000 Beschäftigte im Öffentlichen Dienst. Nichts ging mehr. Der Arbeitgeber Bund knickte ein.

18 Jahre blieb dieser Arbeitskampf der größte in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, bis 1992 400 00 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes für elf Tage die Arbeit niederlegen. Sie wollten 9,5 und bekamen letztlich 5,4 Prozent mehr.

Heinz Kluncker verließ die Kommandobrücke der ÖTV aus gesundheitlichen Gründen schon 1982. In den Jahren davor hatte er sich auch dadurch einen Namen gemacht, dass er früh Kontakte auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs suchte, der Europa damals in West und Ost teilte. Verdi-Chef Frank Bsirske nannte den Barmer einmal einen Wegbereiter für die Aussöhnung mit Osteuropa.