Wuppertal Der Ölberg verändert sein Gesicht
Nach Kündigungen wächst die Angst vor einer Erhöhung der Mieten und der Vertreibung der Bewohner. Der Wandel hat zwei Seiten.
Beser Sarikaya schläft nicht mehr gut. Zum 30. Juli muss seine Familie den Lale-Kiosk an der Marienstraße nach zwölf Jahren aufgeben. „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Der Kiosk ist mein Leben“, sagt der 62-Jährige. Sein Mietvertrag wurde gekündigt, weil die Hausbesitzerin das Gebäude umfangreich sanieren will. Es entsteht hochwertiger Wohnraum, wie der WZ auf Anfrage bestätigt wurde. Auch die Mieten sollen steigen.
Der Fall Sarikaya steht für eine Sorge, die sich in Teilen des Ölbergs breit macht: Die Angst vor der Gentrifizierung. Damit ist der soziale Strukturwandel gemeint, wie er in ehemaligen Arbeitervierteln oder einstigen sozialen Brennpunkten vorkommen kann (siehe Kasten). Die Kehrseite der Gentrifizierung: Mit der Aufwertung eines Viertels und dem Steigen der Mieten wird im Extremfall die bisherige Bevölkerung aus dem Viertel verdrängt, weil es sich das Preisniveau nicht mehr leisten kann.
Dass sich dieser Prozess gerade auf dem Ölberg in Gang gesetzt hat, sehen nicht nur Schreiber in Sozialen Netzwerken so, sondern offenbar auch die Unbekannten, die zwischen dem 20. und 24. Januar in 70 Fällen Häuser mit Graffiti beschmiert haben. Die Parolen heißen etwa „Mieten runter“ oder „Kein Mensch ist illegal“.
Uwe Peter ist seit 1988 Ölberger und engagiert sich seit 15 Jahren mit dem Unternehmerverein für die Nordstadt. Er sieht die Entwicklung differenziert und erinnert: „Vor 15 Jahren gab es Tendenzen, dass der Berg sozial abrutscht.“ Damals seien die Leute weggezogen — nicht wegen hoher Mieten — sondern wegen der Verhältnisse im Viertel. Inzwischen habe sich viel Positives getan — und klar, es gebe die Fälle in denen in sanierten Immobilien der Quadratmeterpreis von 4,50 auf 8,50 Euro gestiegen sei. Er erinnert aber: „Wir wollten ja, dass es hier schöner wird.“ Es sei klar, dass es nun ein größeres Interesse am Viertel gibt. Er glaubt aber: „Wir sind noch weit entfernt von einem Prozess, wie es ihn etwa am Prenzlauer Berg in Berlin gegeben hat.“
Dass die Mieten im Viertel steigen, bestätigt auch Makler Michel Baumeister. Das sei aber auch verständlich. „Teilweise muss ja wirklich saniert werden“, sagt er. Und die Kosten für Material und Handwerker seien die gleichen wie in Düsseldorf. Er selbst vermietet renovierten Wohnraum am Ölberg — für sieben Euro pro Quadratmeter.
Ein anderes Mitglied des Unternehmervereins, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bestätigt, dass es in Einzelfällen Kündigungen im Viertel gegeben hat, das sei aber „keine durchgängige Entwicklung“.
Auch Ramona Weinert ist so ein Fall. Sie muss zum 30. Juni ihre Schmuckschmiede an der Charlottenstraße aufgeben, weil sich der Vermieter in dem Ladenlokal erweitern möchte. Manchmal jedoch kocht die Gerüchteküche in den Sozialen Netzwerken zweifelhafte Gerichte. So ist dort auch zu lesen, dass der Weinladen Est Est Est die Marienstraße verlassen muss. „Das ist Schwachsinn“, sagt Inhaber Stefan Klute, der sich über die Gerüchte ärgert. Er gibt lediglich sein Lager auf.
Einzelfälle oder eine Entwicklung? Der anonyme Verfasser eines Flyers, der sich als Reaktion auf die Farbschmierereien an die Nachbarn richtet, findet deutliche Worte. In dem Schreiben, das öffentlich aushängt, heißt es unter anderem: „Das Problem ist nicht die Farbe an den Wänden, sondern, dass mit Mieterhöhungen und Sanierungen Menschen aus ihren Wohnungen und Lebensräumen verdrängt werden.“ Verdrängung finde täglich und zunehmend statt.
In Zahlen lässt sich der Wandel — noch — nicht ausdrücken. Thomas Seck, Teamleiter im Bereich Wohnen bei der Stadt, sagt: „Gentrifizierung gibt es in Wuppertal eigentlich gar nicht.“ So sei die Kaltmiete in der Nordstadt (Stand 2016) noch im Stadtvergleich unterdurchschnittlich niedrig, im Bereich zwischen 5,48 und 6,13 Euro. Während auf dem Ölberg im Vergleich zu 2014 die Mieten zwischen null und sieben Prozent gestiegen sind, gingen die Preise etwa im Briller Viertel um mehr als zwölf Prozent nach oben. Von sozialer Verdrängung keine Spur. „Die Quote derer, die Hartz IV beziehen, ist in der Nordstadt deutlich überdurchschnittlich.“
Seck nennt den Wandel auf dem Ölberg viel mehr eine Aufwertung, die man sich in Stadtteilen wie Oberbarmen oder Wichlinghausen eigentlich wünschen würde.