Stunde Null: Vor 70 Jahren „Die Amerikaner haben uns geholfen“
Für Ingeborg Scholz und ihre Familie war die Ankunft der Soldaten ein großes Glück: Als US-Staatsbürger waren sie praktisch Landsleute.
Wuppertal. Noch heute lebt Ingeborg Scholz auf dem Fleckchen Wuppertal, auf dem sie im April 1945 die Amerikaner anrücken sah. „Jetzt steht da Hornbach, damals hatte ich freie Sicht“, berichtet die 84-Jährige und zeigt zum Fenster. Der Baumarkt ist vom Boehler Weg auf Lichtscheid nur wenige hundert Meter entfernt.
Der Einmarsch der Amerikaner war für Familie Scholz ein großes Glück. Mutter und Tochter hatten selbst einen amerikanischen Pass, die Soldaten traten ihnen gegenüber nicht als Besatzer, sondern fast als Verwandte auf. „Wir waren beim Barmer Angriff ausgebombt worden und lebten mit sechs Personen in zwei Zimmern“, erinnert sich Ingeborg Scholz.
Ihre Mutter sprach die Soldaten dann auf Englisch an und schilderte ihre Not. „Sie sagten: Sucht euch irgendeine schöne Wohnung aus, wir sorgen dafür, dass ihr sie bekommt.“ Doch genau da lag das Problem: Ingeborgs Großeltern hatten vor dem Barmer Angriff das „Sport-Restaurant Finkenstein“ bewirtschaftet, das ausbrannte. „Wir wollten es an gleicher Stelle wieder aufbauen und weitermachen.“ Da kam der Familie die Idee, eine große Baracke, die auf dem Gelände der heutigen Bereitschaftspolizei stand, zu versetzen. „Die Soldaten haben uns sehr geholfen, alles ab- und wieder aufzubauen“, erinnert sich Ingeborg Scholz.
Die Großeltern öffneten, sobald es ging, wieder einen Schankraum und hatten allabendlich Soldaten zu Gast, die Bier tranken und sich freuten, dass sie mit Wuppertalern Englisch reden konnten. „Ich habe auch das Heimweh von Soldaten erlebt. Meine Mutter hat einige der noch sehr jungen Männer abends getröstet.“ Doch auch für die 14-jährige Ingeborg ist die Angst nach Ende des Zweites Weltkriegs nicht vorbei. „In den Kasernen am Lichtenplatz war auch das Sammellager für die Zwangsarbeiter, da durften wir Frauen nicht mehr im Dunkeln raus. Es ist ja auch klar, dass die Hass auf uns hatten.“
Genauso kann sich die 84-Jährige an die Kälte des Winters 1945 und das bohrende Hungergefühl erinnern: „Wer in die Schule wollte, musste ein Brikett mitbringen. Wir haben auf den Felder Steckrüben gesammelt und aus Brennnesseln Spinat gemacht.“ Doch abgesehen davon ist die „Stunde Null“ bei Familie Scholz eher untypisch, denn die größte persönliche Kriegskatastrophe steht ihr noch bevor — später, in einem anderen Krieg: Ingeborg Scholz wurde wie ihr Bruder in Milwaukee (USA) geboren.
Die Wuppertaler Eltern wanderten aus, weil der Vater in Amerika bessere Berufschancen sah. Die Ehe hielt nicht lang. Als Ingeborg drei Jahre alt ist, geht die Mutter zurück nach Wuppertal. Der Bruder wird beim Vater in Amerika groß. Während die Männer sich während des Zweiten Weltkriegs um die Frauen in Wuppertal sorgen, muss die Mutter 1950 um den amerikanischen Sohn bangen — er wird im Korea-Krieg eingezogen.
1952 erreicht Familie Scholz in Wuppertal dann ein Telegramm aus Milwaukee: „Donald heute vermisst gemeldet. Bitte und hoffe mit mir, dass er gefunden wird.“ Wenig später ist klar: Das Flugzeug ist abgestürzt, es gibt keine Überlebenden. Der Bruder wird in den USA beigesetzt. Ingeborg Scholz glaubt, dass sie dieses deutsch-amerikanische Schicksal viel Toleranz gelehrt hat. „Wenn die Menschen gut miteinander umgehen, ist es egal, welche Nationalität und Religion sie haben.“ Das gehe ihr auch heute noch durch den Kopf, wenn sie Nachrichten sehe und Zeitung lese.