Die Frage nach den Fragen
Nun ist es heraus. Wer bisher noch glaubte, dass nur Übelkrähen und Turbopessimisten Wuppertal Stillstand unterstellen, den belehrt die aktuelle Ausgabe des Politikmagazins Focus eines besseren. Zwar gefallen sich solche Publikationen zunehmend mit Wettbewerben und Tabellen, suchen den besten Hausarzt, die tollste Diät oder den schönsten Zoo.
Aber die Ranglisten folgen prüfbaren Regelwerken, der Anteil an Interpretation ist überschaubar.
Nun hat der Focus das Arbeitsplatzangebot, Firmengründungen, Produktivität, Attraktivität und Lebensqualität von 400 Städten und Kreisen unter die Lupe genommen. Das Bergische Land war auch dabei. Und es tröstet nicht, dass Wuppertal unter den drei Städten noch am besten abgeschnitten hat. Denn ob schlecht oder ganz schlecht, ist letztlich auch egal.
Platz 235 in der Liste dokumentiert einen Eindruck, der sich in den vergangen beiden Jahren zunehmend verfestigt hat. Die Wissenschaftler attestieren Wuppertal nicht nur Stillstand, was schon schlimm genug wäre. Die Stadt hat gegenüber 2015 noch 30 Plätze eingebüßt. Mit anderen Worten: Es geht rückwärts. Und das in einer Zeit, in der sich so ziemlich alles verändert.
Doch ehe nun die Zweifler und Verzagten wieder in Tränen ausbrechen, wie sie es in Wuppertal zu Beginn des Jahrtausends taten, sei gesagt, dass es einen Ausweg gibt. Das haben die Jahre bis 2015 schließlich bewiesen. In diese Phase fallen Meilensteine wie das Ja zum Umbau des Döppersbergs , die Nordbahntrasse, die Junior Uni, das kleine, aber feine Theater am Engelsgarten, die Aussicht auf das Pina Bausch Zentrum, eine deutlich gewachsene und angesehenere Universität, der Deutsche Schulpreis für die Gesamtschule Barmen — Aufbruch eben, Zuversicht und Kraft, Erfolge, die aus der Leidenschaft Einzelner und der Leistungsstärke der Gemeinschaft resultieren.
Davon ist Wuppertal in diesen Tagen weiter entfernt als die Erde von der Sonne. Vieles wird „angedacht“, ausgedacht wird nichts. Nie seit Beginn der 2000er Jahre hatte diese Stadt ein gemeinsames großes Ziel nötiger als heute. Statt dessen herrscht Bergisch Pepita. Über die Besetzung der vakanten Dezernentenstelle im Rathaus beispielsweise wird so lange nicht diskutiert, bis irgendeine Billiglösung gefunden und wieder eine Chance vertan wurde.
Die Studie des Focus belegt, dass Wuppertal wie das gesamte Bergische Land progressive, innovative, soziale Wirtschaftspolitik benötigt. Die gibt es aber nicht. Das Ergebnis ist Platz 306 von 400 in der Rangliste für Wachstum und Jobs. Das ist, mit Verlaub, erbärmlich für eine Stadt, in der Weltkonzerne wie Bayer und Vorwerk zu Hause sind, in der Dienstleister wie die Barmer GEK und die Barmenia Versicherung ihre Wurzeln haben, in der sich mittelständische Unternehmen im weltweiten Wettbewerb behaupten müssen.
Angesichts der digitalen Revolution hätte sich Friedrich Engels, der neue alte Superstar der Wuppertaler Sozialdemokratie, vermutlich die Frage gestellt, wie eine Gesellschaft die Anforderungen so eines epochalen Wandels meistern könnte. In Wuppertal stellen sich die Verantwortlichen anscheinend noch nicht einmal die Frage, welche Fragen sie sich stellen müssen. Statt dessen üben sich Remscheid, Solingen und Wuppertal als digitale Modellregion des Landes NRW im Bergischen Dreikampf - Spucken, Beißen, Kratzen — und gönnt die eine Stadt der anderen Stadt nicht das Schwarze unter dem Nagel.
Vieles am Platz 235 ist sicher fremdbestimmt. Einiges lässt sich aber auch beeinflussen. Es wäre gut, wenn Oberbürgermeister, Dezernenten und Stadträte damit anfingen. Sonst fährt die Welt digital und Wuppertal sitzt im Kohlentender.