Die letzte Chance auf den Schulabschluss

Seit 18 Jahren gibt es das Projekt W.hip Spitzenklasse in Langerfeld.

Foto: Andreas Fischer

Wuppertal. Firat (16) hatte vergangenen Mittwoch einen freien Tag. Nicht, weil der Schulverweigerer geschwänzt hat, sondern, weil er die meisten Punkte hatte — in Ehrlichkeit, Pünktlich und Anwesenheit: Bestes Betragen. Seit Jahren verwenden die Lehrer Carola Weinhold und Gerd Holl das Belohnungssystem, Strafen wurden abgeschafft. Auch damit bekommen sie die Jugendlichen, die innerlich schon aufgegeben hatten, doch noch zum Abschluss.

Das Schulverweigerer Projekt W.hip Spitzenklasse existiert seit 18 Jahren, während ähnliche Projekte in Nachbarsstädten ausgelaufen sind. Im Jugendzentrum Langerfeld werden derzeit 15 ehemalige Schulverweigerer bis zu zwei Jahren unterrichtet. „Wir haben vor 18 Jahren bewusst entscheiden, nicht in der Schule zu unterrichten“, erinnert sich Weinhold. Seitdem haben die zwei Lehrer, die Hauptschulähnlich in allen Fächern unterrichten, 86 Schüler zu einen Hauptschulabschluss nach der 9 und 52 Schüler zu einem Hauptschulabschluss nach der zehn verholfen.

Firat war vor zwei Jahren noch auf der Realschule, dann kam die Hauptschule und alles veränderte sich: „Ich hatte Stress mit den anderen, die Noten waren auch schlecht“, erinnert er sich. „Ich habe mich nicht mit den Kinder wohlgefühlt“, sagt er. Er nennt sie Kinder, weil die anderen jünger waren als er. Zwei Jahre machen als Jugendlicher viel aus.

Viele gingen nicht mehr zur Schule, weil sie sich auch einfach mit den Klassenkameraden nicht verstehen, sagt Holl. Das wird zum Teufelskreis, da sie den Lernstoff nicht mitbekommen, werden die Noten schlecht, dann gehen sie gar nicht mehr: Sie denken sich dann: „Ich passe hier einfach nicht mehr hin“, erklärt der Lehrer. Die Schuld haben das System oder die Lehrer, viele könnten ihre Probleme noch nicht so klar sehen.

Seitdem Firat in der Spitzenklasse ist, habe er viel darüber nachgedacht, was er gemacht hat. Jetzt habe er sich gewandelt, ist fleißig: „Ich bekomme die meisten Punkte und am häufigsten den freien Tag“, berichtet er stolz. Firat hat noch ein Jahr, dann kann er seinen Abschluss versuchen. Danach möchte er gerne eine Ausbildung zum Kraftfahrer machen und Busse fahren.

Aber es gibt in jedem Jahrgang auch Schüler, die sich nicht ändern können oder wollen: „Das ist ein Gradwandel zwischen professioneller Distanz und dem Gefühl, doch noch etwas tun zu können“, sagt Weinhold. Denn wenn man sehe, dass manche „sich das nicht geben können“, wie sie sagen, obwohl das Potenzial da ist, das gehe an die Substanz, weiß Weinhold: „Ich sage ihnen das dann aber auch“.

Hauptschulen können Schulverweigerer vorschlagen, solche, die das Potenzial zu einem Schulabschluss haben und bei denen noch Hoffnung ist. „Im Juni gibt es eine Castingwoche, wie wir sie nennen“, erzählt Weinhold. Dann besuchen die beiden die Wuppertaler Hauptschulen und sprechen mit den Schülern und den Lehrern. Die Schüler müssen dabei Willen und Ehrlichkeit zeigen. .

Bei den Gesprächen sind seltener die Eltern dabei: „Die Jugendlichen sind aus schwierigen Verhältnissen und haben die benötigte Unterstützung der Eltern schon vorher nicht erhalten“, sagt Holl. Nachfragen, Helfen, Hausaufgaben kontrollieren, das was für andere Jugendliche ganz normal ist, kennen viele aus der Spitzenklasse nicht: „Engagierte Eltern haben unsere Jugendlichen nie erlebt“, sagt Weinhold.

Die Lehrer fragen zwar nicht, wie die Geschichte der Jugendlichen ist, aber da sie viele Stunden und Tage mit den Jugendlichen verbringen, bekommen sie vieles mit: Alleinerziehende Mütter, Teenie-Schwangerschaften, Heim, Vernachlässigung. „Wir sind oftmals die einzige Konstante in ihrem Leben“, sagt Holl.