Reportage Die WZ hat Altenpfleger Maurice Knipper (31) auf einer morgendlichen Tour begleitet
Wuppertal · „Ich bin zufrieden, wenn sie einmal lächeln“
Die alte Dame sitzt auf der Bettkante, nagt an einem Brötchen und erzählt. Altenpfleger Maurice Knipper hört ihr zu, auch wenn er nicht alles versteht, und hält einen Teelöffel in der Hand. Die Tabletten darauf muss die alte Dame einnehmen. Der Pfleger übt sich in Geduld, fragt irgendwann: „Haben Sie Zeit für ein Zwischenfrühstück?“ Erst nach einer Weile schluckt sie ihre morgendliche Medizin-Ration, nimmt einen Schluck Tee danach. Ein kleiner Einsatz auf der morgendlichen Tour, die Maurice Knipper und das Team vom „fahrenden Dienst“ des Unternehmens Pflege Wessel täglich absolvieren. Die WZ durfte ihn begleiten.
Um 7.30 Uhr beginnt die Tour am Standort des Unternehmens am Oberdörnen in Barmen. Maurice Knipper packt unter anderem den Tourenplan und zahlreiche fertig bestückte Tablettenboxen ein. Kurvt routiniert durch die noch dunklen Straßen von Barmen und Langerfeld. Bei den Patienten schellt er, um sich anzukündigen, öffnet gleichzeitig selbst Haus- und Wohnungstür. Steigt Treppen hoch („Ich nehme nie den Aufzug, denn einmal bin ich steckengeblieben“ – was das für Patienten und Kollegen bedeutete, muss er nicht ausmalen), kennt die Wege über Hinterhöfe und schmale Stiegen. Kommt in kärgliche Zimmer, die lange keine Renovierung erlebt haben, in moderne Wohnungen mit Weihnachtsdekoration und Häuser voller Krimskrams.
Mit einem freundlichen „Guten Morgen!“ tritt er herein, findet die Patienten mal im Bett, in der Küche oder auf dem Sofa im Wohnzimmer, abhängig davon, wie fit diese sind und wie viel sich Angehörige kümmern können. Oft läuft der Fernseher. Bei der Tour mit der WZ hilft er nur einer Person beim Waschen und Anziehen, denn die meisten wollen dabei keine zusätzlichen Besucher. Bei den übrigen Patienten sind hauptsächlich medizinische Hilfen nötig.
Viele brauchen Hilfe beim Anziehen der engen Kompressionsstrümpfe. Maurice Knipper rafft die Strümpfe geübt zusammen, zieht sie am Bein hoch, ein Korrekturzupfer am Zeh – er ist fix. Bei Claudia Löwe (58), die an Multipler Sklerose erkrankt ist, scherzt er: „Ich geh‘ auf die Knie für Sie.“ Sie nennt ihn „Music Man“, weil sie sein Auto meist an der lauten Radiomusik erkennt. Erzählt von farbigen Kompressionsstrümpfen, die sie selten trägt: „Die sind ziemlich eng.“ „Erspart mir das Fitnessstudio“, sagt Maurice Knipper. „Wer kommt morgen?“, fragt die Patientin noch, dann sitzt der Pfleger schon wieder im Auto.
Erzählt unterwegs von der komplizierten Berechnung der Preise, der festgelegten Minutenzahl pro Tätigkeit – „das passt mal, passt mal nicht“. Maurice Knipper, der auch stellvertretender Pflegedienstleiter ist, sagt: „Die Planung ist schwer. Wir müssen wirtschaftlich arbeiten, aber wir wollen auch den Patienten gerecht werden.“
Mehrfach an diesem Morgen fragt er: „In welchen Finger darf ich?“, wenn es um die Blutzuckermessung geht. Dann pikst er mit einer Stechhilfe in einen Finger, drückt einen Blutstropfen auf den Messstreifen, überträgt das Ergebnis vom Messgerät in eine Mappe, die jeweils bei den Patienten liegt. Dort notiert er auch andere gemessene Werte, verrichtete Tätigkeiten und Besonderheiten.
Bei Liana Engels (76) gehört eine Einschätzung der Schmerzen dazu: Auf einer Skala von eins bis zehn nennt sie heute „drei bis vier“. Sie sei mehrfach an Hüfte und Knie operiert, erzählt sie. Und dankbar für die Hilfe ihrer Kinder: „Wenn ich die nicht hätte!“ – und den Pflegedienst: „Der ist gut.“ Auch bei Ursel Weber (83) sticht Maurice Knipper zu, um den Blutzucker zu messen. „Aua“, ruft sie gespielt empört. Mit ihr neckt er sich: Mit „Ich habe langsam Hunger!“, hat sie ihn begrüßt, den Wert im Zuckermessgerät darf sie vorlesen: „Kannste den lesen?“, fragt er zweifelnd. Die beiden lachen viel zusammen.
Im Auto erklärt er: „Man muss gucken: Wer ist wie gestrickt? Dann findet man jeweils einen Zugang.“ Der Umgang mit den Menschen ist es, was ihm Spaß an der Arbeit macht: „Manchmal, wenn ich morgens keine Lust habe, es dann losgeht, ich bei den Leuten bin, mit ihnen spreche, dann ist das vergessen.“ Er habe am Abend kein fertiges Produkt, seine Erfolge sind andere: „Ich bin zufrieden, wenn der Patient zumindest einmal ein Lächeln im Gesicht hat.“
Er hat gemerkt, wie
gern er anderen hilf
Zu den Patienten entwickelten sich Beziehungen, auch wenn er auf professionelle Distanz achtet. Wenn jemand stirbt, „trifft einen das schon“. Aber: „Es kann auch schön sein, jemanden in seiner letzten Zeit zu begleiten“, sagt er. „Viele sagen: ,Wenn es so weit ist, ist es so weit’.“ Das sei schön für ihn zu wissen, „denn ich lebe gern“. Er hofft, am Ende seines Lebens ebenso gelassen zu sein.
Negativposten sei „der Papierkram“, die Dokumentation, nicht nur bei jedem Patienten, sondern ausführlicher im Büro. Und das frühe Aufstehen falle ihm schwer. Handwerker wollte er erst werden. Aber ein Erlebnis mit seinem Großvater machte ihm deutlich, wie gern er Menschen hilft. Über ein paar Umwege landete er bei der Altenpflege, bildete sich zur Pflegefachkraft für außerklinische Beatmung weiter. Gerade absolviert er eine Weiterbildung zur Pflegedienstleitung. Der Vorteil ihres kleinen Pflegedienstes mit 55 Kunden, betreut von fünf Mitarbeitern von der Vollzeitstelle bis Minijob, sei, dass man alle Patienten kennt, schnell füreinander einspringen kann. Wie auf der Tour mit der WZ: Weil es länger dauert, verständigt er sich mit der Kollegin der Paralleltour, dass sie einen seiner Patienten versorgt.
Sorgen bereitet ihm eine alte Dame, die ihn am Esstisch mit zehn Gedecken erwartet. Wann ihr Besuch kommt, weiß sie aber nicht. Maurice Knipper weiß, dass keiner kommen wird. Den gedeckten Tisch hat er schon öfter bei ihr gesehen. Und ist froh, dass die Angehörigen bereits organisieren, dass sie bald in eine Einrichtung für Demenzkranke umziehen kann.
Heidi Karp (88) wohnt in einer Wohnung im Bornscheuerhaus. Während Maurice Knipper ihr die Kompressionsstrümpfe anzieht, erzählt sie, dass sie am Mittagessen im Haus teilnehmen wird. „Damit ich Gesellschaft habe, sonst wird man ja noch verrückt.“ Vor drei Jahren ist ihr Mann gestorben. Jetzt ist sie dankbar für den Pflegedienst und ihre Betreuerin: „Wenn ich die nicht hätte, müsste ich in ein Heim.“ Bevor der Pfleger geht, will sie „noch einmal gedrückt“ werden. Was er gern macht: „Wir umarmen uns eigentlich immer zu Begrüßung.“
Nicht viel zu tun ist bei Ursula Büdenbänder (84). Ihre Medikamente liegen bereit, alles ist korrekt. Nur eine Sorge hat sie: „Wo kriege ich eine Lichterkette her?“ Sie will keine echten Kerzen mehr aufstellen. Maurice Knipper verspricht, dass der Kollege von der Nachmittagsschicht ihr eine mitbringt. Auch das übernehmen sie ab und zu.