Nicht alle haben zu Hause die gleiche technische Ausrüstung, den Platz und die Unterstützung Wuppertal: Digitale Schule in Coronazeiten: Ungleiche Bedingungen für Schüler
Wuppertal · Seit dem 16. März sind die Schulen in NRW wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Stattdessen versorgen die Lehrkräfte Kinder und Jugendliche vor allem über das Internet mit Lernmaterial.
Doch dieser Ersatz funktioniert nicht bei allen gleich gut. Viele befürchten, dass schon benachteiligte Kinder in dieser Situation noch stärker ins Hintertreffen geraten.
An den weiterführenden Schulen in Wuppertal ist die Internet-Plattform „IServ“ bereits eingeführt. Lehrer können ihren Schülern Aufgaben und Aufträge auf dieser Plattform stellen, die Schüler sie über das Internet abrufen. „Wir nutzen das schon seit vielen Jahren“, berichtet Dorothee Kleinherbers-Boden, Leiterin der Gesamtschule Else Lasker-Schüler. „Da sind wir gut aufgestellt.“
Aber auf Seiten der Schüler sieht das anders aus. Denn nicht alle haben die nötige technische Ausrüstung zu Hause: einen Computer und möglichst einen Drucker. „Wir haben Familien, da gibt es nur ein Handy“, erläutert Dorothee Kleinherbers-Boden. „Und das hat der Vater. Wenn dann drei Kinder ihre Aufgaben herunterladen wollen, wird das schwierig.“ In solchen Familien gebe es auch keinen Drucker. Dann könnten die Schüler versuchen, Aufgabenblätter auf dem Display auszufüllen. „Auf einem Tablet geht das noch, aber auf einem Handy ist das unmöglich.“
Ähnliche Probleme kennt auch Wolfgang Steffens, Leiter der St. Laurentius-Hauptschule. Hier ist die Plattform IServ zudem noch nicht so etabliert. Sie haben – ebenso wie an der „Else“ – besonders für die fünften Klassen viel Material ganz klassisch auf Papier gedruckt und per Post zu den Schülern geschickt.
In den höheren Klassen wurden Schüler, die keinen Drucker haben, gebeten, sich die Unterlagen von Klassenkameraden ausdrucken zu lassen. Realschulleiter Rolf Puller berichtet, dass die Schüler bei der Nutzung der Technik auch kreative Lösungen finden. Wenn sie die ausgefüllten Blätter nicht einscannen und hochladen können, fotografieren sie sie mit dem Handy ab und schicken das Foto. Ein Schüler habe sein Aufgabenheft sogar abgefilmt.
Doch nicht nur die technische Ausstattung ist ein Problem. Auch der ruhige Platz zum Arbeiten ist nicht überall vorhanden. Und auch die Eltern können nicht überall gleich unterstützen – manchmal schon allein wegen der Sprache.
Einigen Eltern fehlt auch die Zeit, die Kinder zum Arbeiten anzuhalten. Die Lehrer merken das daran, dass sie nicht von allen regelmäßig fertige Aufgaben bekommen. Wolfgang Steffens berichtet von Schülern, die ihre Zugangsdaten „verlegt“ haben. Und manchmal funktioniere beim zweiten Anruf beim Schüler zu Hause die Handy-Nummer nicht mehr.
Auch Dorothee Kleinherbers-Boden sagt bedauernd, dass die Schüler, die es besonders nötig hätten, sich nur selten zurückmelden. Sie weiß schon: „Wenn die Schüler wieder in die Schule kommen, werden wir noch heterogener sein.“
„Da hängt viel von der Selbstregulierungsfähigkeit der Kinder ab“, sagt Claudia Schuchart, Professorin für empirische Bildungsforschung an der Universität Wuppertal. Sie hat sich viel mit unterschiedlichen Chancen im Bildungssystem beschäftigt. Sie verweist zum Beispiel darauf, dass schon die Unterrichtspause der Sommerferien dazu führe, dass Kinder aus weniger privilegierten Familien größere Lücken aufweisen als die aus bildungsinteressierten Familien. Weil in letzteren die Eltern Fähigkeiten und Beschäftigungen fördern, die auch in der Schule helfen wie Lesen, Diskutieren oder Strategiespiele spielen. Sie fürchtet, dass der längere Schulausfall diesen Effekt verstärkt.
Sie weist außerdem auf die Bedeutung von Rückmeldungen der Lehrer hin: „Studien zeigen, dass positives und konstruktives Feedback gerade bei Schülern aus weniger privilegierten Schichten und Migrantenfamilien wichtig ist.“ Weil diese auch viele negative Rückmeldungen bekämen, sei die positive Unterstützung umso wichtiger.
Des Stellenwerts der Schüler-Lehrer-Beziehung sind sich die Grundschulen noch deutlicher bewusst. So findet Richard Voß, Leiter der Grundschule am Nützenberg, den Stoff im Moment gar nicht so wichtig, den könne man auch nachholen: „Jetzt stehen andere Dinge im Vordergrund.“ Sie versuchten auf verschiedenen Wegen Kontakt zu den Schülern zu halten, digital, telefonisch und per Post.
Andrea Oppermann, Leiterin der Grundschule an der Marienstraße, sucht ebenso engen Kontakt zu Schülern und Eltern, zum Teil über Whatsapp. Darüber verschickten sie nicht nur Schul-Aufgaben, sondern auch Tipps für Beschäftigungen wie mal die Schwebebahn zu malen oder mal zehnmal wie ein Hampelmann zu hüpfen. Sie betont: „Mir persönlich ist es viel wichtiger, sozialen Kontakt zu halten.“ Den Kindern fehle der Kontakt untereinander, aber auch zu den Lehrern. „Die Eltern bemühen sich, aber manche Kinder sind derzeit viel sich selbst überlassen. Da haben Anrufe einen ganz großen Wert, damit die Kinder merken, da denkt jemand an mich, der interessiert sich für mich.“