Der Tag, der die Stadt prägte Ein Jahr nach der Flut in Wuppertal: Rückblick auf Schrecken und große Hilfe

Wuppertal · Bei vielen normalisiert sich das Leben wieder, aber einige warten noch auf Hilfen vom Land.

In Beyenbrug verwandelten sich Straßen in Flüsse.

Foto: ANNA SCHWARTZ

Vor einem Jahr, in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021, wurde Westdeutschland von einem Hochwasser bis dahin nicht gekannten Ausmaßes überrascht und auch Wuppertal war betroffen: In Beyenburg, in der Kohlfuhrt und im Morsbachtal strömte das Wasser durch Straßen und Häuser, zerstörte Mobiliar und Erinnerungsstücke, brachte Menschen in Gefahr. In Wuppertal ist zum Glück kein Mensch gestorben oder schwer verletzt worden. Doch der Wiederaufbau dauert noch. Und der Rückblick hat zwei Seiten: die große Zerstörung auf der einen Seite, die immense Hilfsbereitschaft auf er anderen Seite.

„Ich wohne wieder drin“, sagt Hans-Jürgen Gröll, Anwohner an der Kohlfurther Brücke. Auch durch sein kleines Haus war das Wasser geflossen. Obwohl ein paar Stufen bis ins Erdgeschoss führen, stand die braune Brühe 40 Zentimeter hoch in Wohnzimmer und Küche. Auf der Straße stand es hüfthoch. Als es weg war, musste alles raus. Beim WZ-Besuch im August 2021 glich das Erdgeschoss einem Rohbau, Gröll war zu seiner Tochter gezogen. Jetzt lebt er wieder in seinem Haus, das wieder ein Zuhause ist mit neuen Möbeln. „Alles in Eigenleistung“, betont Gröll. „Vom Staat habe ich noch nichts bekommen“ – obwohl er vor acht Monaten einen Antrag gestellt habe.

Nach dem Hochwasser war die Hilfsbereitschaft groß. Nachbarn halfen sich, Freiwillige packten mit an, es gab zahlreiche Spenden. Diese und die Soforthilfe des Landes 1500 bis 3500 Euro pro Haushalt) halfen, die ersten Nöte zu stillen. 863 Anträge auf Soforthilfe aus Wuppertal wurden bewilligt, rund zwei Millionen Euro ausgezahlt.

Hans-Jürgen Gröll in seinem zerstörten Wohnzimmer.

Foto: ANNA SCHWARTZ

Auch für den Wiederaufbau der geschädigten Häuser gibt es Geld vom Land. Aber hier dauern Beantragung und Auszahlung länger. „Viele warten noch auf ihr Geld“ und „Es geht schleppend“ ist immer wieder zu hören. Kritik gibt es daran, dass die Antragstellung zu aufwendig ist.

Mitarbeiterinnen von Caritas und Diakonie sind vor Ort Ansprechpartnerinnen für Sorgen und Nöte und helfen auch beim Ausfüllen der Anträge. Andreas Bialas (SPD), Bezirksbürgermeister von Langerfeld-Beyenburg hätte sich für die Hilfe bei den Anträgen Verwaltungsfachleute von der Stadt gewünscht, Miriam Scherff, Bezirksbürgermeisterin von Cronenberg, eine zentrale Stelle bei der Stadt. Nach Angaben des zuständigen NRW-Heimatministeriums sind aus Wuppertal 109 Anträge gestellt worden, davon 101 derzeit in Arbeit, 4,3 Millionen Euro wurden oder werden insgesamt ausgezahlt.

Für Andreas Bialas ist der Rückblick „ambivalent“: „Es war eine große Katastrophe“, aber zum Glück habe es keine Todesfälle gegeben. Viele Menschen hätten viel verloren, aber das Unglück habe auch die Gemeinschaft gestärkt. Diesen Aspekt betont auch Bruder Dirk, Mönch in Beyenburg: „Die gegenseitige Hilfe war eine positive Erfahrung.“ Die Menschen seien zusammengewachsen.

Manche spüren auch
psychische Nachwirkungen

Freiwillige Helfer gab es viele. In Beyenburg war es Oberstabsfeldwebel Arne Aust, der die Arbeit der vielen Freiwilligen vor Ort organisierte. Umso trauriger ist es, dass der 46-Jährige kürzlich überraschend verstorben ist. Im Bereich Kohlfurth und im Morsbachtal organisierte unter anderem Heike von Hartwich die Hilfe. Es begann mit einem Facebook-Aufruf zu Sachspenden, bald bildete sich ein Trupp für tatkräftige Hilfe. Der harte Kern von rund 15 Personen von „Helfende Hand“ ist immer noch aktiv, auch wenn sie schon „verdammt viel geschafft“ haben, wie von Hartwich sagt.

Auch psychisch gibt es Nachwirkungen: Betroffene erzählen von „komischem Gefühl“ und Unruhe, wenn es zu regnen beginnt. Im Morsbachtal ist noch immer einer Straße gesperrt und eine zerstörte Brücke nur als Behelfsfußgängerbrücke erneuert. Das bedeutet für die Bewohner weiter Umwege und Probleme für große Fahrzeuge. Und weil die Morsbachtaler sich nach der Flut von der Stadt Wuppertal vergessen fühlten, wollen sie jetzt Remscheider werden. Das Verfahren ist auf dem Weg.

Kritik gibt es an der Aufarbeitung des Hochwassers. „Es existiert kein Papier, welches die tatsächlichen Gründe auflistet“, sagt etwa Miriam Scherff. Das „sogenannte Gutachten“ des Wupperverbands sei dafür nicht ausreichend. Bialas findet die Darstellung des Wupperverbands, man habe nicht anders handeln können, „obszön“. Er ist überzeugt, dass der Verband vor dem Hochwasser mehr Wasser hätte ablassen können. Und er wirft ihm vor, nicht genug vor der Flutwelle gewarnt zu haben. Auch den Ablauf der Einsätze in Wuppertal müsse man analysieren – warum in Beyenburg erst Stunden nach der Überflutung die Feuerwehr eintraf.

Vorwürfe gegen den Wupperverband haben viele: Rechtsanwalt Frank Adolphs bereitet für mehrere hundert Betroffene Klagen vor, da er nach Vorstellung des Gutachtens keine Möglichkeit für eine außergerichtliche Einigung sieht. Ob eine Strafanzeige gegen den Wupperverband zu Ermittlungen führt, ist noch offen. Nach Auskunft von Wolftilman Baumert, Sprecher der Staatsanwaltschaft, wird derzeit das Gutachten des Wupperverbands geprüft.

Weitere Aufklärung und eine bessere Aufstellung des Katastrophenschutzes fordert der Bundestagsabgeordnete Helge Lindh (SPD), der auch den Einsatz der freiwilligen Helfer und die Solidarität der Menschen untereinander würdigt. Für Ingo Schäfer (SPD), Bundestagsabgeordneter für Solingen, Remscheid, Cronenberg und Ronsdorf, ist der Jahrestag des Hochwassers eine Mahnung, den Katastrophenschutz zu verbessern: „Wir sind es den Menschen schuldig, aus den Fehlern zu lernen.“