Ein unwiderstehlicher Rhythmus

Abend mit Literatur und Musik in der Begegnungsstätte Alte Synagoge zu Rose Ausländer.

Foto: Andreas Fischer

Die Begegnungsstätte Alte Synagoge widmete der Dichterin Rose Ausländer (1901-1988) einen literarisch-musikalischen Abend. Sein Rhythmus war unwiderstehlich. Rhythmus lag natürlich in Ausländers Gedichten, die Schauspielerin Julia Wolff im Wechsel mit Uta Atzpodien vortrug. Rhythmus lag ebenfalls in den Stücken, die das Xylon-Quintett spielte. Der wichtigste Rhythmus entstand aber durch den Wechsel von Licht und Schatten, den sich Dramaturgin Atzpodien überlegt hatte.

Ging es um den Text, saßen die Vorleserinnen im Licht. Ging es um die Musik, war das Bläserquintett im Spotlight. Drittes Element des Abends waren die Videoprojektionen von Meritxell Aumedes. Die Kombination aus Sprache, Klängen und Bildern sorgte für einen ausverkauften Saal. Für rund 80 Besucher mussten sogar noch zusätzlich Stühle aufgestellt werden.

Anziehend sind Rose Ausländers Texte, weil diese von einem bewegten Leben zwischen verschiedenen Heimaten und Sprachen zeugen. Ausländer wuchs als Kind einer deutschsprachigen jüdischen Familie in Czernowitz (damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine) auf. Als junge Frau wanderte sie nach Amerika aus, kehrte aber schon nach wenigen Jahren zurück. 1939 veröffentlichte sie ihren ersten Gedichtband. Die deutsche Besatzung ihrer Heimatstadt im Weltkrieg und den Holocaust überlebte sie im Versteck.

Nach Kriegsende ging sie erneut nach New York und schrieb auf Englisch. Mit Mitte 60 entschloss sie sich, nach Deutschland zu gehen und konsequent auf Deutsch zu dichten. Ihre letzten Jahre verbrachte sie in einem Düsseldorfer Altenheim.

„Herkunft“, „Reisen“ „Sprache“ hießen denn auch einige der Kapitel, mit denen Wolff und Atzpodien die Gedichte ordneten. Ihr nachdenklicher, nüchterner Vortrag passte sehr gut zu Ausländers treffend einfachen Worten. Je länger man zuhörte, desto klarer wurde einem: Da äußert sich nicht nur ein individuelles Ich. Vielmehr spricht jemand für andere mit. Zum einen für alle Holocaust- Überlebenden („Ich schreibe aus Worten Leben“), zum anderen für die Opfer („Tote Freunde klagen dich an/ Du hast sie überlebt“).

Ging es darum, Verse für die Zuhörer zu „unterstreichen“, lasen die beiden gemeinsam vor. So Zeilen von „Mein Atem heißt jetzt“, das die Summe eines langen Lebens formuliert: „Die Vergangenheit/ hat mich gedichtet/ ich habe die Zukunft geerbt“.

Ausländers Herkunft aus der Vielvölkerregion Bukowina entsprach das internationale Programm, das Musiker Michael Winkhaus ausgesucht hatte. Auf Klarinette, Flöte, Oboe, Horn und Fagott spielte das Xylon- Quintett Stücke aus Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“. Den Abend eröffneten die „Alten ungarischen Tänze“ von Ferenc Farkas. Einen Bogen zur Dichterin schlugen auch die Kompositionen von Darius Milhaud. Wie Ausländer lebte der jüdische Franzose abwechselnd in Europa und Amerika lebte und blieb dennoch seiner alten Heimat Provence eng verbunden.

„Neue Zeichen brennen am Firmament“ - diese Gedichtzeile war Anstoß für die Bilder, die Meritxell Aumedes über den Köpfen von Julia Wolff und Uta Atzpodien projizierte. Der leuchtende Sternenhimmel wurde zum Hintergrund für eine dichte Abfolge von Versen, die früher oder später auch vorgetragen wurden. „Wort wird Wort wird Wort“, hieß es einmal. Diesen Schöpfungsakt setzte Aumedes mit ihren Mitteln um. Auf der Wand erschien ein handgeschriebenes Gedicht, dann weitere - und aus diesen Texten brach eine Sonne hervor.