Begrabt mein Herz in Wuppertal Wupp-20 hat die Stadt im Griff

Unser Kolumnist träumt von einem höchst infektiösen Virus. Die Bekämpfung läuft ein wenig anders als in der Realität...

Uwe Becker ist Chefredakteur des Satiremagazins Italien.

Foto: Joachim Schmitz

Als ich gestern Morgen erwachte, erinnerte ich mich sofort an meinen Traum: In der Stadt grassierte seit geraumer Zeit ein höchst infektiöses Virus. Zur Eindämmung sollte man alles anfassen und berühren, ja, man wurde sogar dazu aufgefordert, allen, die man auf der Straße begegnet, kräftig die Hand zu schütteln, und wenn man sich nicht zu arg schämte, sollte man den Betreffenden gerne feucht auf den Mund küssen. Auch waren innige Umarmungen nicht nur erlaubt, sondern gerade zu geboten.

All dies durfte aber nur in Barmen geschehen. In Elberfeld galten andere Regeln, die aber nur beinhalteten, dass der intime Kontakt zwischen den Fremden in der Innenstadt etwas gesitteter und vornehmer ablaufen sollte. Der Aufforderung der Verwaltung, unbedingt engen Körperkontakt nicht nur mit vertrauten Personen, sondern auch mit fremden Menschen zu suchen, war eine Studie des Virologen Drosten vorausgegangen, der herausgefunden hatte, dass das Virus sofort tot umfallen würde, wenn es spürt, dass sich zwischen zwei wildfremden Menschen gerade eine schöne Zuneigung oder eine erregende sexuelle Handlung entwickelt.

Leider war die Scham bei vielen Bürgern zu groß, sich mit fremden Menschen öffentlich in einen intimen Kontakt zu begeben. So verbreitete sich das Virus dann rasch auch deutschlandweit. Das Virus forderte aber keine Todesopfer. Allerdings gab es Folgeschäden von nicht unerheblichem Ausmaß. Es wurde im gesamten Land, zum Leidwesen der Deutschen Rentenversicherung, eine immens hohe Zahl von Wiedergeburten ausschließlich alter Menschen im Greisenalter festgestellt. Viele Enkel sahen ihre Großeltern nun zum ersten Mal und freuten sich riesig. Oder sie sahen sie wieder und waren überrascht. Manche Menschen waren natürlich nicht begeistert, wenn plötzlich Vater oder Mutter wieder auf der Matte standen.

Da die Altenheime aus allen Nähten platzten, wurden zunächst Turnhallen und Schulen zu Notunterkünften umfunktioniert. Das kannten alle schon von 2015, als die vielen Flüchtlinge zu uns kamen. Später wurden Familienzusammenführungen organisiert. Viele Kinder waren zwischenzeitlich umgezogen, Paare hatten sich scheiden lassen. Man musste einige Nachforschungen anstellen, und einen hohen bürokratischen Aufwand betreiben, bis alle Wiedergeborenen ihre Verwandten, Kinder oder Geschwister gefunden hatten. Und es wurden ja auch täglich mehr. Die Wiedergeborenen, die übrigens ganz normal alt aussahen und nicht wie Zombies aus der Serie „Walking Dead“, wurden nach Registrierung medizinisch durchgecheckt. Alle waren quietschfidel und gut in Schuss, wie man so sagt.

Im Grunde war das Virus, es wurde Wupp-20 genannt, weil es versehentlich aus einem Labor der Bayer AG entweichen konnte, bei der Bevölkerung beliebt, da es ja keinerlei einschränkende Maßnahmen wie bei Covid-19 gab. Man durfte ins Theater, Kino, in die Kneipe und zu Konzerten. Alles durfte man, sogar ohne eine Maske zu tragen. Die Innenstädte waren voll mit wiederverkörperten Rentnern und Rentnerinnen, die sich lustvoll und fröhlich neu einkleideten, hatten ihre Kinder doch vieles nach ihrem Tod dem Brockenhaus oder der Caritas gespendet. Aus Protest gegen die Freizügigkeit hielten ‚Wuppi-20-Leugner‘ auf Demos einen 2-Meter-Abstand und verzichteten auf Intimitäten jeder Art, was mich im Traum direkt zum Schmunzeln brachte.

Das größte Problem war aber der enorme Bevölkerungszuwachs, was viele jüngere Menschen auch kritisierten, besonders die, die bei Corona von übertriebenen Maßnahmen sprachen, damit „ein paar Achtzigjährige noch vier Wochen länger leben dürfen…“.

Nach der Tagesschau gab es täglich einen ‚Brennpunkt‘, in dem es vorrangig darum ging, wie man die nun wieder zu zahlenden Renten für die Renaissance der Verstorbenen finanzieren sollte. Die Sendung moderierte der 1995 verstorbene und nun wiedergeborene ehemalige Chef der Tagesthemen, Hanns-Joachim Friedrichs. Sein erster Gast war überraschend Norbert Blüm, der alle Menschen beruhigte: „Denn eins ist sicher: Die Rente!“

Da ich gerade die erste Zahlung meiner Altersversorgung erwarte, bin ich gespannt.