Fachkräfte für Inklusion: „So ist die Situation unbefriedigend“
Alle fordern mehr Fachkräfte für Inklusion. Drei Sonderpädagogen berichten, worin die Herausforderungen tatsächlich bestehen.
Wuppertal. Inklusion — ein heißes Eisen und thematisch in aller Munde. In Wuppertal kümmern sich Sonderpädagogen um Kinder mit Unterstützungsbedarf und stehen in Regelschulen vor besonderen Herausforderungen. Die WZ sprach mit Charlotte Horras, Sandra Leopold und Gerd Gerlach an der Gesamtschule Barmen über ihre Arbeitssituation.
Frau Horras, Frau Leopold, Herr Gerlach, beim Thema Inklusion fordern Schulen, Eltern und Schüler mehr Sonderpädagogen. Wieso werden nicht mehr beschäftigt?
Charlotte Horras: Weil es momentan kaum fertig ausgebildete Kräfte gibt - der Markt ist leer, in der Region bieten mit Köln, Dortmund und Wuppertal zu wenige Hochschulen Sonderpädagogik an. Und die sind hoffnungslos überlaufen.
Was ist das Besondere Ihrer Arbeit an der Gesamtschule im Vergleich zur Tätigkeit an einer Förderschule?
Sandra Leopold: Jeder von uns ist ja für eine bestimmte Profession ausgebildet, zum Beispiel Geistige Entwicklung. Doch im inklusiven Betrieb begegnen wir ganz unterschiedlichem Unterstützungsbedarf.
Unterstützungsbedarf ist ein weiter Begriff. Mit welcher Art von Kindern und Jugendlichen haben Sie täglich zu tun?
Gerd Gerlach: Unsere Schüler sind sehr unterschiedlich. Der Unterstützungsbedarf kann körperliche Einschränkungen betreffen, die geistige Entwicklung, den Bereich Lernen. Wir kümmern uns dabei auch um Kinder aus schwierigen familiären und sozialen Situationen. Es gibt Schüler, die uns zuweilen an Grenzen bringen und solche, bei denen wir die sonderpädagogische Bedürftigkeit sogar aufheben können — und sie zum Regelschulabschluss führen.
Leopold: Ein Leitsatz aus dem Studium, der immer noch gilt, lautet, jedes Kind da abzuholen, wo es steht. Es ist die Kunst der Inklusion, das in der Verwaltung des Mangels hinzubekommen: Dass diese Schüler hier im System Regelschule mitlaufen und man ihren Bedürfnissen trotzdem mehr nachkommt als denen anderer.
Gelingt das an Ihrer Schule?
Gerlach: Jede Schule hat ein eigenes Klima. Das an dieser Schule ist wirklich ein gutes. Es ermöglicht Schülern, in bestimmten Feldern positive Erfahrungen zu machen. . .
Horras: . . .und das gar nicht einmal in erster Linie durch uns, sondern im Zusammenlernen mit den anderen Schülern. Das, finde ich, ist ein großer Gewinn der Inklusion.
Um wie viele Schüler mit Unterstützungsbedarf kümmern Sie sich?
Gerlach: Um etwa 40. Manche von ihnen beanspruchen viel unserer Zeit, andere weniger. Das ist individuell verschieden. Wie sieht das praktisch aus?
Gerlach: Die Schüler mit Unterstützungsbedarf sitzen in 15 verschiedenen Klassen und unterschiedlichen Konstellationen, mal allein mit den Regelschullehrern, mal gemeinsam mit uns. Es gibt auch die Möglichkeit, dass Schüler einzeln oder in kleinen Gruppen betreut werden, in die sogenannte Lernwerkstatt kommen. Das erscheint komplex.
Horras:. Und bräuchte eigentlich dringend mehr Struktur: Für die Regelschule ist immer noch nicht festgelegt, wie das Berufsbild des inklusiven Sonderpädagogen genau aussieht. Es gibt in dem Sinne keine Arbeitsplatzbeschreibung, keinen Leitfaden. Somit entwickelt sich unsere Tätigkeit in der Praxis.
Und das funktioniert?
Horras: Es ist ein großes Erprobungsfeld, viel Learning by Doing ist dabei. Bei uns funktioniert das, weil wir hier ein sehr kollegiales Miteinander haben und uns austauschen. Aber auch wir leiden unter zu wenig Personal, hohen Ansprüchen und vielen Unwägbarkeiten. Zum Beispiel?
Leopold: Zu wenig Zeit. Ein elementarer Teil unserer Arbeit besteht in der Beratung von Kollegen. Das ist ein brisanter Punkt der Debatte um Inklusion. Die Kollegen sind voll ausgeschöpft mit ihrer Arbeit — für diese wichtigen Gespräche zu einzelnen Schülern wird aber keine einzige Stunde zusätzlich gewährt. Das geht alles on top und oftmals zu Lasten von Pausen und Freizeit. Eine schwierige Situation.
Das Problem ist also ein personelles und zeitliches?
Horras: Wir versuchen, unser Bestmögliches zu tun, sind aber mit unserem Engagement auch an der Grenze. Es geht darum, jedem Kind gerecht werden, doch durch die personelle Beschränkung haben wir das Gefühl, aus der Puste zu geraten. Wir fühlen uns von der Politik alleingelassen. Was wäre für Sie ein Idealzustand? Was wünschen Sie sich?
Alle: Generell müsste der Personalbestand erhöht werden. Für jeden Jahrgang sollte es einen Sonderpädagogen geben. Von Krankenschwestern, Pflegern oder Familienbetreuern, die oftmals ebenso sinnvoll wären, ist gar nicht zu reden. Jeder Regelschul-Kollege, der inklusiv arbeitet, muss Zeit für Beratungsstunden eingeräumt bekommen. Denn dies gehört zu seinem Aufgabenbereich dazu. Und, an die Adresse der Stadt: Sie muss mehr und besser ausgebildete Inklusionshelfer bereitstellen — die Situation, so, wie sie sich zurzeit darstellt, ist absolut unbefriedigend.