Wuppertal Graffiti-Rundgang: Zwischen Künstlern und Chaoten

Kunst oder Schmierereien? Graffiti an Wänden sind für viele ein Ärgernis, für andere Ausdruck des urbanen Lebens und einer kreativen Subkultur. Unterwegs mit dem Künstler Birne.

Redakteur Eike Rüdebusch (l.) im Gespräch mit dem Künstler „Birne“ an der Hall of Fame an der Bergstraße.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Wenn Dominik Hebestreit vor der besprühten Wand an der Auer Schulstraße steht, zeigt sich schnell, dass er mit anderen Augen auf die Wand blickt als andere Passanten. Er kennt die Namen, die dort stehen: LYP, Regs, Pink, Getme, Jazz. Er kann den Motiven etwas abgewinnen, erklärt den Stil der Sprüher. Weiß, wie ihr Stand in der Szene ist. Jazz zum Beispiel sei wegen seines „innovativen Stils“ nicht gut angekommen, habe es schwer gehabt. Für Birne, wie Hebestreit als Künstler heißt, schade. Er mag Jazz’ Kunst.

Dass er damit uneingeschränkten Zuspruch erhält, ist unwahrscheinlich. Wobei das für alle Graffiti-Künstler gilt, für deren Werke an öffentlichen und privaten Wänden. Hebestreit weiß das. Er versteht das auch. Er sieht an dieser Wand einen Grund für die Differenzen zwischen der Seite, die Kunst im Graffiti sieht und der, die es für Schmiererei hält. „Es ist klar, dass die Leute das nicht verstehen“, sagt er mit Blick auf die Wand. Aber Hebestreit ist eben selbst Graffiti-Künstler. Er ist seit den frühen 90er Jahren aktiv, inzwischen beruflich.

Graffiti ist Teil der HipHop-Kultur, entstanden im New York der 1970er. Damals begannen junge Menschen oft marginalisierter Minderheiten sich neue Ventile zu suchen, Möglichkeiten, ihre Stimme geltend zu machen, sich Respekt zu verdienen. Sie machten Musik, tanzten und sprühten. Sie brauchten nicht viel Geld. Nur Kreativität. Daraus ist die größte Jugendkultur der Welt geworden. Rap ist heute in den Charts, Graffiti in den Galerien.

Aber die Wurzeln sind auf der Straße. Da findet die Subkultur statt, da ist die Szene aktiv. „Graffiti bleibt wild“, sagt Hebestreit. Das Wort illegal schwingt mit, weil die meisten Sprüher eben illegal malen. Das allein sei schon eine Aussage, sagt er. Es geht um Regelbruch, sich nichts sagen zu lassen. Darum, seinen Namen überall sehen zu wollen. Aber auch um künstlerischen Wettstreit. Darum, besser zu sein als andere. Um Anerkennung in der Szene.

Birne geht von 20 bis 30 Menschen aus, die in Wuppertal regelmäßig taggen, also ihre Signatur irgendwo hinterlassen. Und sieben bis 14 Crews, also Gruppen von Sprühern, die zusammen ein Kürzel nutzen, gebe es in Wuppertal.

Geschwindigkeit
ist wichtig

Die Bilder an der Auer Schulstraße sind „Throw-Ups“, erklärt Birne. Schnell ausschraffierte Flächen, die mit einer Außenlinie umzogen werden. Bei denen geht es auch um Geschwindigkeit, weil Sprüher nicht immer viel Zeit haben - aus offensichtlichen Gründen.

Auch Birne findet Graffiti nicht um jeden Preis gut. Tags von Anfängern seien meistens nicht besonders kunstvoll. Aber bei guten Sprühern könne man am „Tag“ schon viel sehen. „Ein gutes Tag ist wie die Essenz“, sagt er. Sprüher zeigten damit ihre Linienführung, ihren Stil in komprimierter Form. „Wenn man es philosophisch sehen will, kann man sagen, dass es die Charaktereigenschaften zeigt“, sagt er. Es gebe riesige Unterschiede in der Qualität, „aber das ist nur wenigen ersichtlich“.

Über Tags von Anfängern sagt er: „Die sind nicht unbedingt Kunst, aber Teil einer Kunstbewegung.“ Für ihn ist Graffiti Teil einer lebendigen Stadt. Wenn er Tags an der Hausfassade seines Wohnhauses sieht, könne er nachvollziehen, dass das Menschen ärgert. Das sei nicht unbedingt schön. „Aber ich bin da schmerzfrei.“

Alte Hasen
und junge Wilde

An der Ecke Gertrudenstraße/ Zimmerstraße sieht man Tags und Schriftzüge von Siro, Alien, Noone, City, I4TF. Teils alte Hasen, wie Birne weiß, er vermutet junge Wilde hinter anderen. Aber hier oben auf dem Ölberg hat es in den vergangenen Monaten auch zahlreiche Schriftzüge mit politischen Hintergrund gegeben. Erst im März sind 60 Anzeigen bei der Polizei eingegangen, ein Schaden von mehreren Tausend Euro wurde gemeldet. Laut Birne sind Leute, die so etwas machen, kein Teil der Graffiti-Szene. Die kämen eher aus dem autonomen Milieu. Aber auch von rechts wird Graffiti und Street Art mittlerweile zweckentfremdet. 2017 hat es laut Polizei rund 110 Straftaten dieser Art mit rechtspolitischem Hintergrund gegeben.

Die Polizei hat in den vergangenen Jahren jeweils zwischen 500 und 600 Anzeigen wegen Graffiti aufgenommen. Wobei zwischen den politischen Sprüchen und den Szene-Sprühern nicht unterschieden wird.

Es gibt aber auch legale Graffiti-Flächen – an Jugendzentren und Schulen, die für Jugendprojekte zum Sprühen freigegeben wurden, ebenso Stromkästen, dazu zwei Hall of Fames an der Nordbahntrasse und an der Bergstraße. Hebestreit erklärt auf dem Gelände an der Bergstraße, das auch nach der Öffnung im Dezember noch weiter saniert wird, die Spielregeln der Hall of Fame. Die Bilder, die da entstehen, häufig ausgefeilte „Pieces“ und „Characters“, also voll ausgearbeitete Werke oder auch Figuren, sind nicht für die Ewigkeit. Birne wird immer wieder angesprochen, ob die schönen Sachen nicht stehen bleiben könnten. Aber für Hebestreit heißt es nach einem Werk: „Foto machen, dann ist gut“. Denn die „Wechseltapete“ ist gewollt. Eigentlich soll ein Werk nur übersprüht werden, wenn etwas Besseres entsteht - aber die jungen Sprüher wollen auch ihren Platz. Wenn der nicht nur auf den freigegebenen Wänden gesucht wird, sondern auf dem neuen Boden oder den Sitzgelegenheiten, spricht Birne schon mal von „Chaoten“. Aber er sieht sich nicht als Erziehungsbeauftragten. Die Jungen wollen etwas anderes machen, sich austoben. „Die wollen sich nichts sagen lassen.“