Symposium der Volksbank Günther Oettinger: Europa braucht eine Agenda 2030

Wuppertal · Der ehemalige EU-Kommissar und Ministerpräsident war Hauptredner in der Historischen Stadthalle.

Günther Oettinger (2.v.r.) mit Volksbank-Vorstand Christian Fried, dem Aufsichtsratsvorsitzenden Thomas Schäfer und dem Vorstandsvorsitzenden Andreas Otto (v.l.) in der Historischen Stadthalle.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Er war nacheinander EU-Kommissar für Energie, Digitale Wirtschaft und Haushalt. „Ich glaube, wir konnten angesichts der derzeitigen Krisen keinen besseren Redner finden“, kündigte der Vorstandsvorsitzende Andreas Otto auf dem Symposium seiner Volksbank im Bergischen Land Günther Oettinger als Hauptredner des Abends an. In einer gut gefüllten Historischen Stadthalle in Wuppertal legte der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg seine Sicht auf den aktuellen Stand der Dinge dar. Titel seines Vortrags: „Frieden, Werte, wirtschaftliche Stärke – eine Agenda 2030 für Deutschland und Europa“.

Dabei wurde schnell klar, dass die namentliche Nähe zu Schröders Agenda 2010 kein Zufall war. Die Reformen von Rot-Grün am Anfang der 2000er-Jahre seien ein Erfolg gewesen, konstatierte der CDU Politiker. Doch die daraus resultierenden Wettbewerbsvorteile habe Deutschland aufgrund von „Sozialromantik“ und wegen eines fehlenden Leistungsprinzips nach und nach aufgegeben.

Seine Forderung: Deutschland und Europa brauchen eine Agenda 2030. Mit Investitionen in Bildung („Unsere Schulen sind nicht mehr gut genug.“) und Infrastruktur, neuen Handelsabkommen („Eigentlich ist es Zeit für TTIP 2.0.“) und einer kompletten Umgestaltung der Sozialsysteme. „Sie werden erleben, dass Ihnen als Arbeitgeber die Lohnnebenkosten um die Ohren knallen“, wandte er sich den Unternehmern unter den Zuhörern zu. Mögliche Lösungen sieht Oettinger in einer Umstellung von Umlagen- auf Kapitaldeckung. Und der schrittweisen Einführung der Rente mit 70.

Die westlichen Demokratien
sollten ein Vorbild sein

All das sei kein Selbstzweck, machte Oettinger deutlich, der von einem „Kampf der Systeme“ sprach. Nicht einmal die Hälfte der Menschheit lebe derzeit in echten Demokratien, stellte er fest. Die westlichen Demokratien sollten ein Vorbild sein für die Staaten, die „auf der Suche nach ihrem Weg“ sind: „Wir sollen auch S-Klassen exportieren, aber nicht nur“, formulierte er den Gedanken pointiert: „Wir sollten auch Demokratie exportieren.“ Denn noch sei gar nicht ausgemacht, dass die Demokratie bestehe.

Bereits seit 2004 lädt die Volksbank regelmäßig prominente Redner zu ihren Symposien ein. Auch wenn diesmal nach einer dreijährigen Corona-Zwangspause ein CDU-Politiker auf den anderen folgte, Oettingers Vorgänger war 2019 der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert, ist die Referenten-Liste über die Jahre bunt gemischt. Ex-Außenminister Joschka Fischer (Grüne) steht genauso drauf wie der ehemalige Linken-Chef Gregor Gysi, SPD-Politiker Wolfgang Clement oder Nahost-Experte Peter Scholl-Latour. Und manche Themen haben auch nach vielen Jahren nicht an Aktualität verloren. So betitelte der TV-Journalist Klaus Bednarz schon 2007 seinen Vortrag „Putin, Öl und Mafia - wohin geht Russland?“.

Auf die aktuellen Krisen inklusive des Kriegs in der Ukraine ging auch Vorstand Andreas Otto in seiner Einleitung ein. Diese müsse man anpassen und nicht in Resignation verfallen, forderte er. Für Panik wiederum gebe es aber keinen Grund: „Vielleicht sollten wir etwas gelassener mit den Krisen umgehen.“ Wirklich Sorge, machte Otto deutlich, bereite ihm aber der Anstieg der Energiekosten: „Das wird den Industriestandort belasten.“

Ein Gedanke, den auch Günther Oettinger aufgriff: „Wir müssen entscheiden, ob wir Industrieland bleiben wollen“, sagte er. Laute die Antwort „ja“, würden die erneuerbaren Energien kaum weiterhelfen: „Wir brauchen noch mindestens 20 Jahre Gas.“

Wichtig sei und bleibe die Zusammenarbeit in Europa, betonte Oettinger, nur gemeinsam sei man in der Lage, die weltweite Entwicklung mitzugestalten. Alleine könnten die europäischen Staaten kaum im internationalen Wettbewerb bestehen, sagte der ehemalige EU-Kommissar: „Es gibt zwei Gruppen von Ländern in der EU. Länder, die klein sind. Und Länder, die wissen, dass sie klein sind.“