Geschichte Verbindungen aus dem Wuppertal in alle Welt

Historiker Heiko Schnickmann über sein neues Buch „Wuppertal. Eine Globalgeschichte“.

Heiko Schnickmann mit seinem neuen Buch.

Foto: ANNA SCHWARTZ

Aus dem Wuppertal gib es schon lange Verbindungen in viele Teile der Welt. Der Historiker Heiko Schnickmann zeichnet diese in seinem neuen Buch „Wuppertal. Eine Globalgeschichte“ nach – vom späten Mittelalter bis in die Gegenwart. Es geht um Händler und Missionare, Ingenieure, Auswanderer und Kolonialisten.

Wie sind Sie darauf gekommen, dieses Buch zu schreiben?

Heiko Schnickmann: Globalgeschichte hat mich schon während meines Studiums interessiert. Als ich mit dem Studium begann, las ich Gerhard Seyfrieds Roman Herero und war fasziniert davon, von einem Teil deutscher Geschichte zu erfahren, von dem ich während der Schulzeit kaum etwas mitbekommen hatte. Als ich dann vor fast fünfzehn Jahren damit anfing, mich mit der Regionalgeschichte des Wuppertals zu befassen, stieß ich auf Bezüge zur weiten Welt. Die Barmer Missionsgesellschaft wurde bei mir in Wichlinghausen gegründet. Die Firma Mittelsten Scheid erlebte Einbußen durch den US-amerikanischen Bürgerkrieg, weil die Baumwollimporte stoppten. Und so war mir klar: Es gibt da mit Sicherheit noch mehr.

Wie schwierig war es, die Fakten zusammenzutragen?

Schnickmann: Wenn man eine globalgeschichtliche Brille auf der Nase hat, fallen einem in zahlreichen Veröffentlichungen die kurzen Passagen zum Thema auf, die oftmals nur als Kuriosität erwähnt werden. Nicht zuletzt muss ich dem Bergischen Geschichtsverein, in dessen Vorstand ich sitze, Tribut zollen. In den über 160 Jahren seines Bestehens hat er so viele Texte veröffentlicht oder beeinflusst, dass ich oft nur Schriftenverzeichnisse durchforsten musste, um Veröffentlichungen und Quellen zu finden – etwa zur Rheinisch-Westindischen Kompanie, die in Elberfeld 1822 gegründet wurde, oder zu Karl Ebermeier, dem letzten Gouverneur der deutschen Kolonie Kamerun, der in der Deweerthstraße geboren wurde. Aber auch die aktuelle Entwicklung in den Geschichtswissenschaften spielte eine Rolle. Die Globalisierung wird als historisches Phänomen mehr und mehr erforscht. Das beginnt bei der Frage nach ihren Anfängen und hört beim Einfluss außereuropäischer Akteure auf unsere Heimatstadt nicht auf. Selbstredend gehört der Gang ins Stadtarchiv oder ins Kirchenkreisarchiv auch dazu.

Haben Sie vorher gewusst, welche weitreichenden Verbindungen es aus dem Wuppertal in alle Welt gegeben hat?

Schnickmann: Natürlich war klar, dass durch die Rheinische Mission Afrika und Asien eindeutig einen Wuppertaler Bezug hatten, immerhin gibt es in Südafrika seit 1830 ein Wupperthal. Aber dass es auch Bezüge in die Karibik gab, in den Mittleren Westen der USA oder durch den in Elberfeld geborenen Bischof Bernhard August Thiel nach Costa Rica, ergab sich erst bei der Recherche. Ähnliches gilt für Friedrich Fabri: Dass er als Inspektor der Rheinischen Mission mit dem Buch „Bedarf Deutschland der Kolonien?“ zum Vater der deutschen Kolonialbestrebungen wurde, war mir zu Beginn nicht bewusst.

Ist Wuppertal damit etwas Besonderes oder eher beispielhaft für viele Städte?

Schnickmann: Dadurch, dass Barmen die Heimat der Rheinischen Missionsgesellschaft war, ist Wuppertal schon besonders. Auch die Blütezeit als Textilstadt ist sicherlich ein wesentlicher Faktor, der Import und Export auch außerhalb Europas interessant gemacht hat. Dennoch ist Wuppertal nur ein Beispiel für Städte mit kolonialem Bezug. Aktivisten sind in ganz Deutschland dabei, koloniale Spuren in ihren Heimatstädten aufzuzeigen. Ziel ist dabei zu zeigen, dass vor 100/150 Jahren das Koloniale eben nicht nur in Berlin oder Hamburg zu Hause war, sondern überall. Und dafür ist Wuppertal ein gutes Beispiel mit ganz eigenen Besonderheiten.

Welche Ereignisse oder Personen fanden Sie besonders spannend?

Schnickmann: Besonders spannend fand ich den ehemaligen Elberfelder Oberbürgermeister Emil Lischke, nach dem eine Straße benannt ist. In dem Buch über Wuppertaler Straßennamen von Wolfgang Stock fand ich ein Porträt des Herren mit Tropenhelm. Ich fand heraus, dass er sich neben seiner politischen Tätigkeit als Wissenschaftler mit wirbellosen Tieren auseinandersetzte. Deshalb war er nach seiner Amtszeit in den 1870er-Jahren in Indien unterwegs und verfasste dazu einen Reisebericht. Dieses Buch wimmelte nur so von kolonialen Stereotypen – ganz im Sinne der Zeit.
Auch Regina Bruce hat mich erstaunt. Sie wurde 1900 im Eden-Theater, dem heutigen Rex-Kino, geboren, weil ihre Eltern dort Teil einer Völkerschau waren, sie stammten aus Togo. Regina Bruce wuchs in Deutschland auf, machte eine Ausbildung zur Diakonisse, musste in den 1920er-Jahren „zurück“, obwohl sie nie da war, und heiratete in Togo Jonathan Savi de Tové, der vorher als Sekretär für Karl Ebermeier gearbeitet hatte, eben den letzten Gouverneur von Kamerun, der keine 500 Meter Luftlinie vom Eden-Theater aufgewachsen war. Solche Verstrickungen kann man sich nicht ausdenken.

Wie politisch ist Ihr Buch?

Schnickmann: Politik spielt immer eine Rolle. In manchen Passagen wird man das durchaus spüren. Aber ich habe mich bemüht, ein lesbares Buch ohne pädagogischen Zeigefinger zu schreiben. Andererseits kann man nicht über Verbrechen, wie den Völkermord an den Herero oder rassistisches Gedankengut einfach hinweggehen. Deswegen ist das letzte Kapitel über die Zeit nach dem deutschen Kolonialreich bis heute sicherlich der politischste Teil – aber auch hier eher abwägend, etwa wenn es um die Umbenennung von Straßen geht.
Ich bin zudem ja Teil der Initiative „Decolonize Wuppertal“. Ich habe aber bewusst kein „Decolonize“-Buch schreiben wollen. Ich kürzte keine Wörter ab, die diskriminierend sein könnten, wenn sie in zitierten Quellen stehen. Denn ich bin der festen Überzeugung, dass die Nennung solcher Worte in den Quellen einen Effekt beim Leser hat, der klar macht, worum es geht. Ich wollte ein populärwissenschaftliches Buch präsentieren, das dazu einlädt, sich mit der globalen und kolonialen Geschichte des Wuppertals auseinander zu setzen.

Sie haben das Buch und die Inhalte schon öfter in der Öffentlichkeit vorgetragen. Wie waren die Reaktionen darauf?

Schnickmann: Die Reaktionen auf die Vorträge, die die Grundlage für das Buch bilden, waren vielfältig. Meistens war Erstaunen über die erzählten Begebenheiten zu spüren. Wenn ich Hermann Enters, der ja Ende des 19. Jahrhunderts nach Milwaukee auswanderte, anhand seiner eigenen Aufzeichnungen als Profiteur der Vertreibung der Indianer darstelle, weil er sein Haus in einer Gegend baute, die vorher von den Potawatomi bewohnt gewesen ist, gab es durchaus ein Raunen bei denjenigen, die Enters wegen seiner Beschreibung der unmenschlichen Zustände im Barmen der Industrialisierung kannten. Auch wenn es um die Mission und Kirche ging, gab es Nachfragen. Dabei war einer der schönsten Kommentare, dass ich die Rolle der Kirche abwägend und nicht nur kritisch beleuchtet habe. Abwägend informieren und dabei nicht langweilen, war mein Ziel.