Im Sog menschlicher Abgründe
Talton-Theater spielt überzeugende Inszenierung der „Hexenjagd“.
Es beginnt als verbotener Spaß und endet als Tragödie, bei der viele ihr Leben und viele mehr ihre Würde verlieren. Nur der tragische Held gewinnt sie im Tod wieder. Arthur Millers Theaterstück „Hexenjagd“, Gleichnis für Verfolgungswahn und Massenhysterie in der Gesellschaft, zieht in menschliche Abgründe hinab. Schwere Kost für Akteure und Zuschauer gleichermaßen. Dem Talton-Theater gelingt eine überzeugende Inszenierung, die ab und an übers Ziel hinausschießt.
Die Geschichte fußt auf einer wahren Begebenheit unter englischen Puritanern, die nach Amerika emigrierten, spielt 1692 in Salem, einer Gemeinde im heutigen Massachusetts. Pfarrer Samuel Parris ertappt Tochter Betty, Nichte Abigail und weitere Mädchen im Wald beim nächtlichen Tanz. Am nächsten Morgen sind einige von ihnen, vor allem Betty, seltsam verändert. Kein Arzt kann ihre „Krankheit“ erklären — das Gerücht vom Teufel ist in der Welt. Pastor Hale wird geholt, um selbigen auszutreiben. Die Mädchen merken schnell, dass ihr verbotenes Tun nicht bestraft wird, wenn sie andere der Anstiftung, der Hexerei, beschuldigen. Hysterie und Denunziantentum greifen um sich. Begnadigt wird, wer gesteht; wer leugnet, wird hingerichtet. Abigail, die mit dem Bauern Proctor eine Affäre hatte, nutzt die Situation, um seine Frau aus dem Weg zu räumen, indem sie sie der Hexerei beschuldigt. Doch Proctor kämpft um Elizabeth und um die Wahrheit. Der Prozess gegen ihn ist entlarvender wie dramatischer Höhepunkt.
Arthur Miller, 1915 in New York geboren, schrieb schon als Student Theaterstücke, 1948 erhielt sein „Tod eines Handlungsreisenden“ den Pulitzer-Preis. Die Weltwirtschaftskrise 1929 prägte seine Arbeit ebenso wie die Kommunistenverfolgung der McCarthy-Ära in den 50er Jahren, der er selber zum Opfer fiel. Der Umsturz gesicherter Verhältnisse, der Mensch als Teil der Gesellschaft, deren Interessen er unterliegt, die er aber moralisch besiegt, sind wichtige Themen seines Schaffens.
Talton—Regisseur Jens Kalkhorst wählte „Hexenjagd“ aus, weil es in unsere Zeit des digitalen Shitstorms passt, in der „populistische Gruppierungen gegen alles wettern, das nicht in ihr Weltbild passt“. Im Stück heißt es einmal: „Entweder man ist für dieses Gericht oder dagegen — es gibt keinen Mittelweg.“ Der Zuschauerraum in Wuppertal ist als Gerichtssaal angeordnet, ist dunkel und spärlich möbliert. Nichts lenkt von den hoch emotionalen Auftritten der Schauspieler ab — allen voran Stefanie Gindler als gebeutelte Magd Mary. Dennis Ellerbrake als John Proctor und Miriam Kalkreuth als Elizabeth Proctor, die in ihre Rollen hineinwachsen, Patrick Schiefer als zynisch-diabolischer Stellvertreter des Gouverneurs Thomas Danforth und David Meister als Pastor Hale. Eine packende und gefeierte Aufführung, die auch ohne Hinrichtungsszene sowie einige übertrieben laute Szenen auskommen könnte.