Das Telefon klingelt. Drei Beraterinnen sitzen in einem Büro in Wuppertal und nehmen einen Anruf nach dem anderen entgegen. Ihre Stimmen sind ruhig, verständnisvoll oder auch tröstend. Manchmal dauert ein Gespräch zehn Minuten, manchmal zwei Stunden. Manchmal kommen nur ein bis zwei Anrufe am Tag, manchmal über zehn. Am Ende des Gesprächs ist den Anrufern geholfen. Eine kleine Last fällt von den Schultern. Ein Hoffnungsschimmer auf ein erfülltes Leben in Deutschland entsteht.
Die Ukraine Helpline wurde im Juni 2022 von dem Verein Nummer gegen Kummer ins Leben gerufen, kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine. „Es gab eine Bedarfslage“, erinnert sich Anna Zacharias, Geschäftsführerin der Nummer gegen Kummer. Mit Unterstützung der Telekom und des Bundesfamilienministeriums wurde eine bundesweite Hotline für ukrainische Geflüchtete geschaffen, die nach Deutschland kamen und Orientierung suchten. „Wir hätten das auch für Flüchtlinge aus jedem anderen Land gemacht“, betont sie. Seitdem hat sich die Arbeit der Helpline weiterentwickelt. 80 bis 100 Anrufe nehmen die drei Mitarbeiterinnen Irina Z., Anna G. und Liena S. im Monat entgegen. Ebenso wie die Anrufer wollen auch die Mitarbeiterinnen anonym bleiben und werden daher nur mit Vornamen benannt. Anfangs überwogen organisatorische Fragen, um das Leben in Deutschland planen zu können: An wen kann ich mich wenden? Wo finde ich Unterstützung für den Alltag in Deutschland? Wo finde ich eine Unterkunft? Wo melde ich mich arbeitssuchend? Doch „mittlerweile zeigt sich eine Tendenz zu psychologischen Fragen“, erzählt Irina, „jetzt sind es eher Fragen zu dem Umgang mit Mobbing in der Schule oder die Sorge um Angehörige in der Ukraine“.
Irina, eine der Beraterinnen, ist selbst vor vier Jahren aus Kiew geflüchtet und hat soziale Arbeit studiert. Ihre Kollegin Anna stammt aus der Ostukraine. „Wir waren direkt an der Frontlinie, und ich wurde evakuiert. Ich habe im Ukraine-Zentrum geholfen, Geflüchtete aufzunehmen, und habe Psychologie studiert.“ Beide haben es sich zur Aufgabe gemacht, ihren Landsleuten in Deutschland beizustehen. Die Helpline versteht sich als Brücke: Sie lotst Menschen durch die deutsche Bürokratie, vermittelt sie an Fachstellen oder bietet einfach ein offenes Ohr. Einen Überblick über die richtigen Anlaufstellen zu behalten ist nicht immer einfach. Adressen wie Notunterkünfte, Ansprechpartner und Vorschriften ändern sich. Trotzdem bleiben die Mitarbeiterinnen stets informiert. „Viele Geflüchtete sind sehr glücklich, wenn sie merken, dass wir Ukrainisch sprechen, und bedanken sich für diese Möglichkeit“, sagt Irina. Doch sie macht auch klar: „Wir sind keine Psychotherapeuten. Wir begleiten gerne, aber ersetzen keine Therapie.“ Die drei Mitarbeiterinnen bemerken einen Anstieg in dem Bedürfnis nach psychotherapeutischer Unterstützung. „Letztes Jahr im Frühling gab es eine Tendenz zu Suizidgedanken und zum dritten Jahrestag des Krieges wurden viele von Erinnerungen überwältigt, Depressionen haben sich verschlimmert“, so Irina. Das können sie mit einem einfachen Telefonat nicht auffangen, vermitteln aber an Therapeuten weiter.
Die Arbeit geht den Beraterinnen oft nahe. „Es gibt immer Fälle, die einen sehr berühren“, gesteht Anna. „Es ist nicht immer ein gutes Gefühl nach dem Gespräch. Manchmal kann man nur wenig tun oder fragt sich, ob man mehr hätte helfen können.“ Verärgerte, unhöfliche Anrufe kommen auch vor, doch Anna hat gelernt, persönliche Grenzen zu setzen. Der Austausch im Team hilft, die Belastung zu verarbeiten. Trotz der Herausforderungen erfüllt die Arbeit die Kolleginnen. „Es ist schön, dass ich etwas für mein Volk tun kann“, sagt Irina. „Wie Deutschland die Flüchtlinge unterstützt, ist wirklich toll.“ Doch auch sie weiß, dass die Krise noch nicht vorbei ist. „Natürlich möchten wir, dass der Krieg schnell endet. Aber auch danach werden Menschen weiterhin psychosoziale Unterstützung brauchen.“ Die Ukraine Helpline bleibt vorerst bis Ende des Jahres gesichert.
Die Helpline Ukraine ist ein telefonisches Beratungsangebot für geflüchtete Ukrainer und ukrainische Angehörige. Die ausgebildeten Mitarbeiterinnen beraten montags bis freitags von 14 bis 17 Uhr kostenlos und anonym unter 0800 500 225 0 auf Ukrainisch und Russisch.