Am 15. September wird der Tag des Handwerks begangen. Angesichts der vollen Auftragsbücher müsste dies doch ein Tag des Jubels sein?
Interview „Wuppertaler Handwerk ist stark“
Interview mit Manfred Todtenhausen zur Lage im Handwerk.
Todtenhausen: Es gibt die große Nachfrage, aber der Facharbeitermangel ist ein großes Problem. Wir müssen uns als Handwerker weiter verpflichten, gut auszubilden, Ausbilder der Nation zu sein. Auch wenn davon viele profitieren, die nichts mit dem Handwerk zu tun haben. Die Industrie greift Leute ab, die Verwaltungen – gut ausgebildete Handwerker werden auch woanders gesucht.
Können die Handwerker angesichts der Nachfrage die Preise diktieren, leiden die Kunden darunter?
Todtenhausen: Es gibt immer noch den harten Wettbewerb unter den Handwerkern. Hohe Kundenzufriedenheit erreicht man nicht nur durch gute Arbeit, sondern auch durch einen angemessenen Preis. Der Wettbewerb zieht den Preis dann immer noch nach unten.
Also liegt das Problem eher darin, dass man länger auf einen Handwerker wartet?
Todtenhausen: Die Rechnungen sind im allgemeinen überschaubar, da das Handwerk – einmal abgesehen von der KfZ-Branche – bei 45 bis 55 Euro pro Stunde liegt, das ist angesichts der Kosten, die der Handwerker hat, gut bemessen.
Sie sind Elektromeister, ständig im Gespräch mit Handwerkern. Was erwartet das Handwerk von der Politik in Berlin?
Todtenhausen: Die Handwerker erwarten Unterstützung von der Politik, die Handwerksberufe interessanter und attraktiver zu machen. In Zukunft soll ein Handwerksmeister mit dem dazugehörigen Betriebswirt dem Master gleichgesetzt werden. Wir wollen, dass Eltern praktische Begabungen ihrer Kinder fördern und sie motivieren, einen praktischen Beruf zu erlernen. Es ist nicht ehrenrührig, im Handwerk zu arbeiten. Ein guter Handwerker kann deutlich mehr verdienen als mancher Akademiker.
Was erwarten die Handwerker ganz konkret? Steuererleichterungen?
Todtenhausen: Steuerleichterungen wollen immer die anderen. Nein, Subventionen sind nicht erforderlich, es läuft ja auch so. Wenn ich unterwegs bin, dann höre ich immer ein Problem. Dieses Problem heißt Fachkräftemangel, es heißt Integration auf dem Arbeitsmarkt. Es ist absolut nicht nachvollziehbar, wenn Menschen, die in der Ausbildung sind oder sie beendet haben, abgeschoben werden. Gefährder, die einen guten Anwalt haben, dürfen hier bleiben. Menschen abzuschieben, die sich sozialisiert haben und Teil eines Unternehmens geworden sind, auf die man sich hundert prozentig verlassen kann, das ist schwachsinnig. Die Forderung nach einem Einwanderungsgesetz steht ganz oben.
Hat das Handwerk eine Lobby im Bundestag?
Todtenhausen: 709 Abgeordnete, davon sind sieben aus dem Handwerk. Es gibt an die 100 Juristen.
Gibt es denn ein offenes Ohr für das Handwerk?
Todtenhausen: In der FDP gibt es zwei Handwerksmeister. Ich bin Vorsitzender der AG Handwerk in der FDP, da landen viele Themen zum Handwerk bei mir. Ich versuche, die Themen aus der Distanz zu betrachten. Es stellt sich nicht nur die Frage, was ist gut für das Handwerk, sondern was ist gut für einen gesunden Mittelstand und die Gesellschaft. Dieses Land ist geprägt durch den Mittelstand.
Ist ein Ende des Booms für die Handwerker in Sicht?
Todtenhausen: Jein. Es wird Berufe geben, die einen dauerhaften Boom erleben – so im Gebäudebereich, wo immer erneuert wird und Neues hinzukommt. Im Handwerk wird so stark digitalisiert, dass Berufe verschwinden werden. Im Automobilbereich wird es durch die E-Mobiliät und das autonome Fahren enorme Veränderungen geben. Das Berufsbild in der Elektrobranche hat sich auch komplett verändert: vom Strippenzieher zum Elektroniker. Jeder Handwerker muss ein Datenkabel verlegen können. Netzwerke aufzubauen, ist Teil unseres Gewerkes geworden. Ich werde in einer Enquete-Kommission mitarbeiten, die sich mit der Zukunft von Berufsbildern auseinander setzt.
In vielen Betrieben suchen Handwerksmeister vergeblich einen Nachfolger. Kann die Politik dagegen etwas tun?
Todtenhausen: Nicht direkt, aber ich begrüße sehr, dass Wirtschaft wieder ein Unterrichtsthema in unseren Schulen ist. Minister Pinkwart fördert Startups finanziell, damit sie die erste Phase überstehen. In den kommenden Jahren stehen 65 000 Betriebe zur Übergabe an. Da muss einiges geschehen, denn die Bereitschaft, die ersten zehn Jahre nach der Gründung eines Betriebes auf Urlaub zu verzichten, findet man heute nicht mehr. Wir wollen, dass die Kosten für den Lehrgang und die Prüfung zum Meister zumindest zur Hälfte vom Staat bezahlt werden. Ein Zahnarzt studiert umsonst, eine Zahnarztassistentin muss ihre Ausbildung selbst bezahlen – das kann nicht sein.
Wie ist es mit dem Wuppertaler Handwerk bestellt?
Todtenhausen: Das konnte man zuletzt bei der Lossprechung in der Stadthalle sehen. Wir haben mit Arnd Kürger einen starken Kreishandwerksmeister, der repräsentiert das Handwerk gut. Wir haben eine sehr große Kreishandwerkerschaft, eine motivierte Innung. Wir würden gerne noch mehr ausbilden, wenn wir mehr Auszubildende finden würden. Viele Kollegen betreiben zudem bewusst durch Ausbildung Integration. Bei den Vergaben der Stadt könnte ich mir noch mehr die Einbeziehung der Wuppertaler Betriebe vorstellen. Düsseldorf vergibt 85 Prozent seiner Aufträge in die Region.