Interview mit dem Autoren Hermann Schulz: Liebe kennt keine Grenzen

„Wuppertal liest“ – diesmal einen Roman von Hermann Schulz. Im September dreht sich alles um „Iskender“. Die WZ sprach mit dem Autoren.

Wuppertal. Herr Schulz, Sie haben sich von Anfang an für "Wuppertal liest" engagiert. Haben Sie damit gerechnet, dass eines Ihrer Bücher einmal selbst Thema der Reihe wird?

Hermann Schulz: Nein, ich war völlig überrascht! Bislang gehörte ich zum vorbereitenden Kreis. Als ich diesmal nicht eingeladen wurde, habe ich mich zwar gewundert. Ich hätte aber nie gedacht, dass mich die Kulturdezernentin anruft, um mir zu sagen, dass man sich in diesem Jahr für "Iskender" entschieden hat. Das hat mich natürlich sehr gefreut.

Zumal Sie nach Uwe Timm und Patrick Süskind der erste Wuppertaler Autor sind, dem die Lesereihe gewidmet ist . . .

Schulz: Ja, das ist eine besondere Ehre - genauso wie die Tatsache, dass "Iskender" auch ins Türkische übersetzt wurde. Zwei Verlage hatten schon Verträge unterschrieben, haben dann aber einen Rückzieher gemacht. Jetzt, beim dritten Verlag, hat es geklappt.

Dabei ist Ihr Roman eine Liebeserklärung an die Türkei. Was war der Grund für die Zurückhaltung?

Schulz: Den türkischen Verlagen waren die Liebesszenen zu heikel.

Der Roman spielt Ende der 60er, das Thema Migration hat aber nichts an Aktualität verloren. Wie entstand das Buch?

Schulz: Alle meine Geschichten sind geprägt von biografischen Bezügen. Es gibt eine persönliche Anbindung, daneben hat Fantasie Platz. Bei "Iskender" ist der zweite Teil fast frei erfunden. Bei Lesungen spüre ich, dass vor allem die Liebesgeschichte das Publikum berührt. Sie ist allerdings ein reiner Wunschtraum von mir.

Wer oder was gab den Anstoß?

Schulz: Eine türkische Mitarbeiterin der deutschen Botschaft in Ankara. In den 60er Jahren hat sie mir bei einem Mittagessen erzählt, dass sie einen Jungen in einem kleinen Dorf abholen und in ein Flugzeug setzen müsste. Die Geschichte hat mich berührt und mich nicht mehr losgelassen. Als ich Mitte der 90er Jahre mit dem Schreiben angefangen habe, hat sie sich lautstark gemeldet.

Sie verbrachten in den 60ern ein knappes Jahr in der Türkei. Welche persönlichen Erinnerungen verbinden Sie mit dieser Zeit?

Schulz: Nach leidvollen Jugendjahren am pietistischen Niederrhein und vor der Zeit im frommen Wuppertal war meine Begegnung mit der Türkei, seiner Landbevölkerung und seiner liberalen Ausprägung des Islam, als sei ein Fenster zur Welt geöffnet worden. Dieses Gefühl von Dankbarkeit, dass die Begegnung mit einer anderen Kultur bereichert, prägt bis heute mein Leben als Autor.

Wie sahen die Begegnungen mit den Menschen aus?

Schulz: Ich habe viele engagierte junge Leute kennen gelernt. Andererseits war ich entsetzt, dass es neben der zivilisierten auch eine brutale Seite der Gesellschaft gab, die die Unwissenheit der Menschen instrumentalisierte. Die Kehrseite der Medaille einer sexuell unterdrückten Gesellschaft kam zu Tage, als ich Geschichten für den Deutschunterricht geschrieben und dafür mit Mittagessen bezahlt wurde. Eines Tages sagte mir ein Lehrer, dass eine Kollegin in mich verliebt sei. Man könne sich ja mal zu dritt im Café treffen, dann könnten wir unter dem Tisch Händchen halten. In drei Monaten ist es mir nicht einmal gelungen, die Frau unter vier Augen zu sprechen.

Wie lesen Sie selbst Ihr Buch?

Schulz: "Iskender" ist eine Liebeserklärung an die Türkei und seine Menschen. Ich klammere aber die Widersprüche nicht aus und versuche auch nicht, das Land zu glorifizieren. Ich habe es beschrieben, wie ich es als fremder Gast erlebt habe.

Die Veranstaltungsreihe möchte mit "Iskender" den Kulturaustausch anregen und Perspektiven erweitern. Welchen Blick haben Sie heute auf die Türkei?

Schulz: Die Türkei der 60er ist mit der heutigen Türkei nicht mehr vergleichbar. Aber sie war schon immer eine multikulturelle Gesellschaft, die viele Nationen integriert. Genau das ist ihr Reichtum. Ich verfolge natürlich mit Spannung die Frage, ob die Türkei der EU beitritt. Ich glaube nicht, dass es in den kommenden zehn Jahren realisiert werden kann, bin aber überzeugt davon, dass der Prozess nicht aufzuhalten ist. Es ist eine Frage der ökonomischen Entwicklung.

Die Unkenrufe, die besagen, dass Jugendliche lieber vor dem Computer sitzen als ein Buch lesen, werden immer lauter. Welche Erfahrungen machen Sie bei Ihren Lesungen in Schulen?

Schulz: In Wuppertal gibt es tolle Schulen - und Lehrer, die speziell Schüler mit ausländischem Hintergrund mit viel Einfühlungsvermögen begleiten. Die Lesungen dort sind spannende Prozesse, die ich genieße. Für deutsche Schüler ist vieles fremd, was über die Türkei erzählt wird. Die Medien vermitteln ein undifferenziertes Bild, gerade die Terrorismus-Debatte sorgt für ein einseitiges Urteil. Ich hoffe, durch Gespräche mit den Schülern zu verhindern, dass das Türkei-Bild einseitig bleibt. In der Türkei gibt es viele engagierte Intellektuelle, die für die Menschenrechte auf die Straße gehen und aktiv mitgestalten wollen.

Wie sind die Reaktionen türkischer Schüler auf Ihre Lesungen?

Schulz: Sie freuen sich, dass die Türkei Thema eines Romans ist. Manche sitzen auch anfangs provokant in der ersten Reihe, was nicht zuletzt Ausdruck eines Minderwertigkeitsgefühls ist, dem sie einen demonstrativen Stolz entgegensetzen. Nachdem sie Luft abgelassen haben, zeigt sich dann aber meistens, dass sie viel stärker integriert sind, als sie selbst glauben.

Sie selbst sind als Vielreisender in der ganzen Welt zu Hause, aber Wuppertal immer treu geblieben. Was bedeutet Ihnen die Stadt?

Schulz: Ich habe mich als Verleger und Autor in Wuppertal immer gut behandelt gefühlt. Als ich als Verlagsleiter pensioniert wurde, stand die Frage im Raum, ob ich die Stadt verlasse. Doch die Bindung ist zu stark - durch die Menschen, die hier leben. Ich fühle mich in Wuppertal sehr wohl und bin auch dankbar. Die Stadt hat mich immer gefördert. Als es dem Peter Hammer Verlag schlecht ging, bekam ich Unterstützung - von der Stadt, Kulturschaffenden und Industriellen.

Sie schreiben ein Buch nach dem anderen. Bei so vielen Reisen scheinen die Ideen offensichtlich nie auszugehen . . .

Schulz: Wenn ein Buch fertig ist, kommt das nächste zu mir. Nie musste ich überlegen: So, was schreibst du jetzt? Das ist für mich ein fast magischer Vorgang, wenn längst Vergessenes oder Unbeachtetes plötzlich aus dem Nebel hervortritt wie ein Mädchen und mich auffordert, die Liebeserklärung anzunehmen. Mein neues Buch (Anm. d. Red.: "Der silberne Jaguar" erscheint in Kürze im Carlsen Verlag) spielt in Weißrussland. Ich bin auf die Reaktion russischer Schüler gespannt. Es ist wieder eine Möglichkeit, anderen Kulturen Respekt zu bezeugen und den Dialog in Gang zu bringen.

Was bedeutet das Schreiben für Sie selbst?

Schulz: Dass ich in meinem zweiten Berufsleben Autor wurde, ist ein Glücksfall. Es ist eine große Freude, eine Geschichte weiterzugeben. Außerdem lernt man viel über sich selbst und erweitert die eigenen Sprachmöglichkeiten. Und dass meine Bücher inzwischen in zwölf Sprachen übersetzt wurden, ist natürlich eine schöne Anerkennung.

Gibt es ein Thema, das Sie niemals aufgreifen würden?

Schulz: Eigene Liebesgeschichten würde ich nie zwischen zwei Buchdeckel pressen. Es gibt Dinge, die gehören nur einem selbst.

Wie reagieren Bekannte, wenn Sie deren persönliche Erlebnisse in einem Roman verarbeiten?

Schulz (lacht): Sie erkennen sie gar nicht immer, ich verfremde natürlich.

Und was sagen Ihre jungen Leser, wenn Sie sie in der Schule besuchen? Die nehmen sicherlich kein Blatt vor den Mund.

Schulz: Das ist immer spannend und ein Vergnügen. Schüler merken alles. Wenn ich Autogrammkarten unterschreibe, sagen die schon mal: "Das ist aber ein altes Bild. Sie haben doch eine ganz andere Brille auf!"

Apropos Lesung: Kommt auch die Ideengeberin von "Iskender" im September nach Wuppertal?

Schulz: Sie ist inzwischen leider verstorben, aber zu ihren Söhnen habe ich nach wie vor Kontakt. Genau das liebe ich an der Literatur: Sie ist grenzübergreifend und verbindet die Menschen.

Herr Schulz, vielen Dank für das Gespräch.