Interview „Ständige Kontrolle macht uns krank“

Wuppertal · Interview Prof. Dr. Eugen Davids, ärztlicher Direktor des Tannenhofs, sprach mit der WZ über die steigende Zahl der Burnout-Erkrankungen im Bergischen.

Dr. Eugen Davids ist ärztlicher Direktor des Tannenhofs.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Herr Davids, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit für Sie und mich, an Burnout zu erkranken?

Davids: Nicht ganz niedrig. Man kann sagen, dass jeder fünfte bis sechste Mensch einmal im Leben so eine Burnout-Phase durchläuft. Und ein Trend nach oben lässt sich bestätigen.

Wenn Sie die Patienten-Zahlen von vor zehn Jahren mit denen von heute vergleichen, wie stark haben da die Burnout-Erkrankungen zugelegt?

Davids: Auf alle unsere Standorte verteilt behandeln wir bei der Stiftung Tannenhof im Jahr 600 bis 800 Burnout-Patienten. Diese Zahl ist in den vergangenen zehn Jahren ungefähr um 30 Prozent angestiegen.

Woran liegt das? Ist unsere Arbeit heute schädlicher für unsere Psyche als früher?

Davids: In gewisser Weise schon. Es gibt Faktoren, die wissenschaftlich belegt dazu führen, dass eine Burnout-Erkrankung bei einem Arbeitnehmer wahrscheinlicher wird. Heutzutage sind ganz viele Berufe an ein sogenanntes „Controlling“ gekoppelt. Das hat zugenommen. Gerade im Bank- oder Handelswesen beispielsweise. Menschen werden ständig unter dem Gesichtspunkt kontrolliert, was sie leisten. Das macht krank.

Gab es das nicht früher auch schon?

Davids: Ja, schon. Aber wo früher der Jahresbericht ausgereicht hat, kommt es heutzutage in manchen Bereichen zu einer wöchentlichen, wenn nicht sogar täglichen Leistungskontrolle. Hinzu kommt, dass von Arbeitgebern immer häufiger eine sogenannte „schnelle Umstellungsfähigkeit“ verlangt wird.

Was verbirgt sich dahinter?

Davids: Sie können heute nicht mehr davon ausgehen, dass Sie in dem Beruf, den Sie erlernt haben, in Zukunft noch so weiterarbeiten können wie bisher. In großen Energiekonzernen beispielsweise wissen Mitarbeiter manchmal gar nicht, in welcher Abteilung sie im nächsten Jahr arbeiten werden.

Was sind denn die Alarmsignale, dass sich eine Burnout-Erkrankung bei mir anbahnen könnte?

Davids: Der Betroffene empfindet für sich, dass Anstrengung und Belohnung in ein Missverhältnis gerät. Es kommt häufig zu einer Rückzugstendenz im sozialen Bereich. Die Erkrankten sind leichter reizbar und psychosomatische Beschwerden nehmen zu, etwa Schlafstörungen und Verdauungsbeschwerden. Im fortgeschrittenen Stadium empfindet der Betroffene eine große Sinn- und Hoffnungslosigkeit in seinem Leben.

Kommen die Menschen eigentlich erst zu Ihnen, wenn alles zu spät ist?

Davids: In den meisten Fällen ist das so. Die Betroffenen haben einen Schwächeanfall, einen Kreislaufkollaps oder eine Panikattacke und merken erst dann, dass etwas nicht stimmt. Aber das wandelt sich ein bisschen. Arbeitnehmer und Arbeitgeber werden sensibler für das Thema.

Es gibt die Vorwürfe, dass Burnout eine „Mode-Erscheinung“ ist...

Davids: Das stimmt nicht. Vor 30 Jahren hat es das Phänomen auch schon gegeben. Es wurde nur anders genannt – etwa Erschöpfungssyndrom. Nur damals sind die Leute dann wirklich erst zu uns gekommen, wenn Sie unmittelbar vor dem Herzinfarkt standen.

Sind es allein die Arbeitsbedingungen, die Betroffene erkranken lassen oder erwischt es lediglich diejenigen, die schon psychisch vorbelastet sind?

Davids: Tatsächlich ist es so, dass eine genetische Komponente keine große Rolle spielt. Es kommen Menschen zu uns, die 20 Berufsjahre ohne Auffälligkeiten „weggesteckt“ haben und plötzlich in eine Arbeitssituation gelangen, die eine Burnout-Erkrankung bei ihnen auslöst. Übrigens: Wir reden nicht nur von vertraglich geregelter Arbeit. Auch alleinerziehende Mütter oder pflegende Angehörige kann es erwischen.

Ist ein Jobwechsel für Arbeitnehmer nicht die einfachste Lösung?

Davids: Diese Entscheidung sollte man nicht zu schnell treffen. Die Patienten sind in der Regel zehn bis 16 Wochen bei uns. In dieser Zeit müssen sie erst einmal gesünder und stabiler werden. Burnout-Patienten haben häufig einen Tunnelblick und sehen die Situation negativer als sie ist. Ich empfehle daher übrigens auch ein Stress-Tagebuch. Dabei stellt sich häufig heraus, dass nur ein, zwei Faktoren zu der Erkrankung führen – eine Aufgabe, ein Kollege, ein Vorgesetzter. In Wirklichkeit ist gar nicht alles schlecht.

Würde ein Wechsel den Patienten nicht trotzdem gut tun?

Davids: Ich empfehle den Menschen in der Regel erst einmal, die Rückkehr in den alten Job – mit der Option, bei einem Rückfall eine Neuorientierung in Betracht zu ziehen. Der Wechsel direkt aus der Krankheit heraus, erzeugt nämlich einen noch höheren Druck. Man muss sich bei einem neuen Arbeitgeber ja auch bewähren. Und wahrscheinlich sind die Aufgaben dort ähnlich, schließlich bewerben sich die meisten Menschen in etwa auf die gleiche Position, aus der sie kommen. Diese Doppelbelastung ist happig für einen Burnout-Erkrankten.

Was würden Sie einem Arbeitgeber empfehlen, der sich psychisch gesunde Mitarbeiter wünscht?

Davids: Mitarbeiterbefragungen sind gut. Da bekommt ein Arbeitgeber gut heraus, wo der Schuh drückt und kann dann reagieren. Eine flexible Arbeitszeitgestaltung ist ebenso ein positiver Faktor für die Arbeitnehmerpsyche wie der betriebliche Informationsfluss. Wenn Menschen mit einer Woche Vorlauf erfahren, wohin sie im Betrieb „verschoben“ werden, dann fühlen sie sich machtlos.