Literatur Der Kampf um das Heimatgefühl
Wuppertal · Jan Brandt las bei „Literatur auf der Insel“ im Café Ada aus seinem jüngsten Roman.
Von „Objekten“ ist im Vokabular des Immobilienmaklers die Rede. Dabei haben Lebens-Räume für ihre Bewohner eine wesentlich emotionaler besetzte Bedeutung: Heimat. Diese zu finden und zu erhalten ist zwischen knappem Wohnraum, Mieterhöhungen und Eigenbedarfskündigungen allerdings keine leichte Aufgabe. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Literatur auf der Insel“ begrüßten Uta Atzpodien und Torsten Krug am Freitagabend den Journalisten und Schriftsteller Jan Brandt im Café Ada, dessen Romandebüt „Gegen die Welt“ 2011 auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis landete. Am 17. Mai erschien „Ein Haus auf dem Land / Eine Wohnung in der Stadt“, ein „Wendebuch“ über die Tücken des Immobilienmarkts, dessen zwei unabhängig voneinander lesbare Teile eine Art literarischen Essay ergeben – teils Roman, teils Sachbuch, teils Familienchronik.
Ein Haus in Ostfriesland
und eine Wohnung in Berlin
Jan Brandt wuchs in Ostfriesland auf, versteht sich aber als „verhinderter Berliner“. „Das ist wie ein ganz anderer Kosmos, von der Landschaft und vom Wohnraum her, aber auch vom Sozialen“, so Brandt, der sich als „Teil beider Welten“ fühlt. In skurrilen Momentaufnahmen und liebevollen Kindheitserinnerungen zeichnet Brandt eine Gegenüberstellung von Hauptstadt und Provinz, angereichert mit einer großen Menge an Details – ein Schreibstil, den Brandt selbst als „manischen Realismus“ beschreibt, als Ausdruck einer „Wirklichkeitsüberforderung“.
In beiden Welten begegnete ihm der Kampf um Wohnraum: Als Brandt gerade in Berlin auf Wohnungssuche war, stand das Haus seines Urgroßvaters und Namensvetters in der ostfriesischen Heimat kurz vor dem Abriss. Was seitens der eigenen Familie zunächst als „Fass ohne Boden“ abgetan wurde, entwickelte sich für Brandt zu einem verbissenen Kampf für die Erhaltung eines Stücks Heimat – ein Argument, dass für einen Bauunternehmer zunächst wenig Schlagkraft besitzt. Doch wenn ein Haus abgerissen werde, sei es für immer verloren, wie ein gestorbener Mensch. Auf einer Leinwand wurden während der Lesung nicht nur Bilder des Hauses gezeigt, sondern thematisch passend auch das Musikvideo zu Christiane Rösingers „Eigentumswohnung“ und ein Ausschnitt aus Katrin Rothes Dokumentarfilm „Betongold“.
Angekommen in Berlin erwarteten den Schriftsteller neue Kämpfe: Eine Wohnungsbesichtigung im Stadtteil Schöneberg. Rund 200 Bewerber auf eine Wohnung, die mit zerschlagenen Kacheln, gewellten Tapeten und schief hängenden Heizungen nicht gerade zu beeindrucken wusste – und doch heiß begehrt war. Eine Mitbewohnerin, die nicht nur wenig Wert auf Toilettentüren legte, sondern zudem eine Schlange als Haustier pflegte. Und schließlich eine Kündigung zwecks Eigenbedarf.
Eine doppelte Heimatsuche mit gänzlich unterschiedlichen Herausforderungen, die der Schriftsteller Jan Brandt jedoch als „zwei Seiten der gleichen Medaille“ versteht. Der bezeichnende Untertitel des autobiografischen Werks, das sich ebenfalls von zwei Seiten aus lesen lässt: „Von einem, der zurückkam, um seine alte Heimat zu finden / Von einem, der auszog, um in seiner neuen Heimat anzukommen“.