Kein Stück vom kleinen Glück

Premiere von „ungefähr gleich“: Ein kurzweiliger Theaterabend, bei dem die Schauspieler gelegentlich aus der Rolle fallen.

Kein Stück vom kleinen Glück
Foto: Sebastian Hoppe

Wuppertal. „Zum Golde drängt, am Golde hängt doch alles“, heißt es schon in Goethes „Faust“. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Allerdings war das Drängen eine geraume Weile und bis vor ein paar Jahren für viele Menschen erfolgreich. Doch das Versprechen, mit guter Ausbildung und harter Arbeit ein angenehmes Auskommen zu finden, wird heute nur noch bedingt eingelöst. Der schwedische Erfolgsautor Jonas Hassen Khemiri hat dazu das recht thesenhafte Stück „ungefähr gleich“ mit recht stereotypen Figuren geschrieben. Regisseur Elias Perrig macht daraus gleichwohl einen kurzweiligen Theaterabend, was aber auch daran liegt, dass der Zuschauer beschäftigt ist, die inhaltlichen Stränge zu sortieren.

Fünf Menschen - und ungefähr der gleiche Traum: Sie möchten einen Arbeitsplatz und ein Einkommen, von dem sie leben können, ohne ständig zu knapsen. Fünf Menschen - und ungefähr gleich schlechte Perspektiven. Andrej hat die Abendschule mit Marketingdiplom erfolgreich absolviert. Doch auch hunderte von Bewerbungen verhelfen ihm nicht zur ersehnten Stelle. Am Ende ist er froh, dass er einen 9-Euro-Job im Kiosk ergattert - die Rolle gibt Lukas Mundas nur begrenzte Entfaltungsmöglichkeiten.

Mani sehnt sich nach festem Boden unter den Füßen, er hofft auf die Festanstellung an der Uni. „Ich stürze“, träumt der Wirtschaftshistoriker stattdessen, während ihn der Walzer aus „Die fabelhafte Welt der Amélie“ umspielt. Alexander Peiler gibt den Facetten seiner Figur ruhige Präsenz. Seine Frau Martina (rundum überzeugend: Philippine Pachl) jobbt im Kiosk, um das Familieneinkommen aufzubessern, denn die beiden haben eine kleine Tochter. Sie fantasiert von einem Leben als Selbstversorger auf dem Land mit Lämmchen, Sellerie und Bioklo und greift aus Frust in die Ladenkasse.

Martina 2 ist die innere Stimme (materialisiert in der wunderbar zickigen Lena Vogt), die sie aus ihrem gut situierten Elternhaus mitgenommen hat und die auf Statussymbole und steten Geldzufluss bedacht ist. Freja hat ihren Job an eine hübschere Konkurrentin verloren und weiß sich nur durch eine Verzweiflungstat zu helfen - Julia Reznik verteilt ihre Wandlungsfähigkeit auf mehrere Figuren, gibt der niedergedrückten Arbeitslosen ebenso Kontur wie Andrejs kleinem Bruder und der schmollmündigen Karriereberaterin. Der obdachlose Peter spielt als einziger virtuos auf der Klaviatur des Marktes und ist möglicherweise auch gar nicht obdachlos. Stefan Walz spielt unter dem Zottel-Bart grandios all die Varianten des Bettler-Jammerns.

Regisseur Perrig füllt - wie schon in seiner Inszenierung von „Supergute Tage“ in der vergangenen Spielzeit - die von ihm entworfene karge Bühne mit Tempo und Leben: Eine Wand mit einer dunklen und einer hellen Seite halbiert die viel bewegte Drehbühne, minimales Mobiliar (mal ein Sofa, mal zwei Stühle) macht die Räume kenntlich. Bedauerlich allerdings, dass Alexander Peiler die abstrusen Schlenker zur ökonomischen Berechnung von Unterhaltung zu Beginn so hastig herunterspult - das zerspant jeden Witz im Ansatz. Auch sonst widmet sich der Regisseur nur bedingt den Ironiemöglichkeiten der Vorlage.

Im übrigen lässt Perrig die Schauspieler frontal agieren, fast immer sprechen sie direkt ins Publikum. Und sie fallen gelegentlich aus der Rolle: „Ich heiße Philippine Pachl und arbeite hier bei den Wuppertaler Bühnen“, sagt Philippine Pachl direkt vor der ersten Reihe. Ihre Waschmaschine sei kaputt, ob man sie nicht unterstützen wolle. „Es muss auch nicht viel Geld sein“, zitiert sie Peter. Eine auch nicht mehr ganz neue Art, die Realität auf die Bühne zu holen. „Es ist mir wichtig, Sie einzubinden“, sagt Mani gegen Ende in den Zuschauerraum hinein. Mit einem Ablass von 20 Euro - gemeint ist der Eintritt - sei es nicht getan: „Was passiert denn überall in der Welt? Wir müssen doch was tun! Wir brauchen Antworten!“ Die gibt das Premierenpublikum erwartungsgemäß nicht, spendet zum Schluss aber den verdienten reichlichen Applaus.