Was glauben Sie denn? Die Pharisäer sicherten das Überleben des Judentums

Wuppertal · Ruth Tutzinger, Vorsitzende des Gemeinderates der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal, über die großen Lehrer und Vorläufer der heutigen Rabbiner.

Wuppertal

Foto: Fries, Stefan (fri)

Der Pharisäer – ja, das ist an rauen Tagen an der deutschen Nordseeküste ein beliebtes Heißgetränk:  Kaffee mit einem ordentlichen Schuss Rum und einer großen Haube aus geschlagener süßer Sahne. Doch wer waren die Pharisäer wirklich? Lassen Sie uns zurückschauen in die Zeit um 150 vor der Zeit.

Wie immer war es turbulent im Nahen und Mittleren Osten. Die Makkabäer, eine Gruppe aus dem Priestergeschlecht der Hasmonäer, hatten für Jerusalem und Judäa von den griechisch-syrischen Seleukiden eine gewisse Autonomie erkämpft. Der größte Teil des jüdischen Volkes war mit diesen mutigen Freiheitskämpfern verbündet. Jetzt begann das Gerangel um die Macht im eigenen Haus.

Das Amt des Hohepriesters war seit eh und je den Nachkommen Aharons vorbehalten und die Königswürde dem Hause Davids. Die Hasmonäer waren zwar eine sehr angesehene Priesterfamilie, sie waren auch im Sanhedrin, dem Obersten Gericht, vertreten, aber sie gehörten nicht zu den Nachkommen Aharons oder Davids. Getragen von der Welle ihres Erfolges griffen sie jedoch nach der Macht, verdrängten den amtierenden Hohepriester und begründeten später eine neue Königsherrschaft. Der Bruch dieser sehr alten Tradition hat nicht allen im Volk gefallen, und diese brachten ihren Unmut auch zum Ausdruck.

Die Juden sind seit je her als temperamentvolles Volk bekannt, wie schon im TeNaCh berichtet. Sie pflegten eine lebhafte Streitkultur, aber der Streit musste „unter den Augen des Himmels“ geführt werden. Das heißt, dass um die Sache trefflich gestritten werden durfte, aber persönliche Diffamierungen nicht erlaubt waren. Es ist überliefert, dass dies aber nicht immer gelang. In den späteren Niederschriften des Talmuds wurde das sehr konkret wiedergegeben. Doch wer stritt in den damaligen Zeiten mit wem?

Es gab in Jerusalem und Umgebung noch viele Priesterfamilien. Unter diesen gab es sehr angesehene Gelehrte, aber auch sehr reiche Ökonomen. Sie stellten einen Teil der 70 Mitglieder des Sanhedrins. Der 71. war der Hohepriester. Die Priesterschaft hatte immer sehr großen Einfluss auf das jeweilige Königshaus, mischte also vor allem in der Innenpolitik kräftig mit. Ein anderer Teil der Mitglieder des Sanhedrins stammte, wie wir heute sagen würden, aus der „gehobenen Mittelschicht“, aus Bauern und Händlern, die sich hochgearbeitet hatten. Diese Männer mussten nun feststellen, dass ausgerechnet die Priester sich nicht vom Hellenismus losgesagt hatten, nach wie vor „fremde“ Frauen heirateten, was eigentlich tabu war, also der griechisch-römischen Kultur in jeder Weise zugetan waren. Diese Priester nannte man „Sadduzäer“. Da der Tempel immer der meistbewachte Ort war, war er auch die Staatsbank und Steuerverwaltung und auch die Wasserversorgung lag in den Händen der Priester.

Eine Gruppe, die sich anders als die Sadduzäer, von der fremden Kultur fernhielt, waren die Peruschim oder Pharisäer. Sie kümmerten sich mehr um die Belange des Volkes. Aus ihnen gingen große Gelehrte hervor. Sie hatten erkannt, wie wichtig es war, das Volk auf seiner Seite zu haben. Sie vergaßen nicht, wie tapfer diese Menschen die jüdische Identität verteidigt hatten, aber sie wussten auch, dass man das Volk unterstützen muss. Einer ihrer berühmtesten Vertreter war Simeon von Schetach. Er setzte die Schulpflicht ab dem sechsten Lebensjahr durch, er ließ im Ehevertrag festschreiben, dass der Ehemann mit seinem ganzen Vermögen für die Mitgift der Frau haftete. Im Talmud wird über viele Diskussionen berichtet, die er mit den Sadduzäern führte. Die verbindliche Festlegung der Tora war abgeschlossen. Man war jetzt dabei, auch die mündliche Lehre schriftlich festzulegen. Die Sadduzäer bestanden darauf, nur die Lehren aus den fünf Büchern Mose als verbindlich anzusehen, während die Pharisäer vor allem die Lehren der Propheten und manche im Volk verankerten Bräuche mit einbeziehen wollten. Sie waren der Meinung, dass alle bisherigen Überlieferungen in jeglichen Bereichen des Lebens Anwendung finden sollten. Sie glaubten an die Unsterblichkeit der Seele, sie konkretisierten die Reinheitsgebote, sie humanisierten den Strafvollzug und erwarteten die messianische Zeit. Sie waren es auch, die in den größeren Orten und in der Diaspora Lehrhäuser (Synagogen) errichten ließen. Man versammelte sich auch oft im Freien zum Lernen. Wie gesagt, sie arbeiteten viel mit den Sadduzäern zusammen, aber in religiösen Fragen flogen öfter die Fetzen, was auch in vielen Kapiteln des Talmuds festgehalten wurde.

Hinzu kam, dass die Zeiten nach wie vor von kriegerischen Auseinandersetzungen geprägt waren. Herodes verdrängte die herrschenden Hasmonäer mit der Unterstützung der Römer und verschaffte diesen langfristig Zugang zu Judäa. Das Volk und auch viele Priester waren entsetzt und empfanden ihn als Tyrannen.  Einige weitsichtige Pharisäer retteten die Heiligen Schriften in das Lehrhaus nach Javne.  Von dort aus bauten sie das Judentum nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels wieder auf und sicherten ihm das Überleben. Sie waren und sind unsere großen Lehrer und die Vorläufer unserer Rabbiner.