Kultur Klassenkampf am Engelsgarten

Das Schauspiel Wuppertal will John Osborne wiederentdecken.

Thilo Ullrich;Mirjam Loibl;Constantin John inszenieren John Osborne neu.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Elite gegen Arbeiterklasse. Das Schauspielensemble der Wuppertaler Bühnen präsentiert einen klassischen Stoff aus einer Zeit, in der ein Bügeleisen auf der Bühne noch Skandale auslöste: John Osbornes „Blick zurück im Zorn“ feiert am Freitag Premiere im Theater am Engelsgarten. Die Protagonisten Jimmy und Alison entstammen verschiedenen Welten: sie aus gutbürgerlichem Hause, er aus einer Arbeiterfamilie. Nur mühsam halten die beiden sich über Wasser und leben in einer Art Frühform der WG auf engstem Raum zusammen mit Jimmys Freund Cliff. In Jimmys Tiraden über die Gesellschaft, nicht zuletzt über Alisons Herkunftsmilieu, wird der titelgebende Zorn zur prekären Kraft, die sich immer wieder über der schier ausweglosen Situation der Protagonisten entlädt.

Ein Bogen zu den „zornigen
jungen Menschen“

Dramaturgin Barbara Noth beschreibt die Aufnahme des Stücks als „Wiederentdeckung“: Es habe einmal zum literarischen Kanon gehört, sei aber heute in Vergessenheit geraten. Die Inszenierung versuche, einen Bogen zu schlagen zu den heutigen „zornigen jungen Menschen“, wie Osborne seinerzeit betitelt wurde. Es gehe um einen jungen Mann, „der zornig auf die Gesellschaft ist, weil ihm etwas anderes versprochen wurde“, erklärt Noth. Umgesetzt wird die Wiederbelebung von einem Regieteam aus München: Mirjam Loibl (Regie) und Thilo Ullrich (Bühne und Kostüme) konnten mit ihrer Inszenierung von Dawn Kings „Foxfinder“ am Residenztheater nicht nur das Münchener Publikum, sondern auch den Wuppertaler Schauspielintendanten Thomas Braus überzeugen. Mitgebracht haben sie Constantin John (Musik), den sie ebenfalls während ihrer Assistenzzeit kennenlernten.

Die Übersetzung des Stoffs geschieht allerdings nicht durch eine zeitliche Verschiebung ins Heute; die Figuren befinden sich wie im Originaltext im England der 1950er Jahre. Stattdessen wurde das Stück von allem befreit, was es an seine Entstehungszeit fesselt: Das Regieteam hat den Figuren „einen abstrakten Raum gegeben, der auf einer symbolischen Ebene funktioniert“, wie Regisseurin Loibl es beschreibt. Die Bühne: ein drehbarer Steg, der den Figuren mal zum Hindernis und mal zur Waffe wird. Keine Requisiten – außer einer Gitarre. Ullrich war es wichtig, kein räumliches Bühnenbild zu schaffen, das die Figuren an einem klaren Platz verortet, sondern ein „System, das seine eigene Logik hat“ und die fünf Schauspieler in jedem Moment zwingt, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Auch die Kostüme spiegeln die Entstehungszeit des Stücks lediglich als Echo wieder, Ullrich verweist dabei auf den sich ohnehin stetig wiederholenden Charakter der Mode. Er habe eine Transparenz schaffen wollen zwischen den Schauspielern und ihren Rollen, daher seien sie nicht im herkömmlichen Sinne „verkleidet“.

Ergänzt wird dieser abstrakte Kosmos durch „flirrende“ Klänge, die durch Schichtungen und Überlagerungen ebenso im Raum stehen wie die Individuen im Stück und eine ebenso zirkuläre Struktur erzeugen, wie sie auch die Handlung hergibt. Denn das Publikum findet sich im Laufe des Stückes wiederholt der sonntagnachmittaglichen Leere gegenüber, mit der Osbornes Werk beginnt, mit den immer gleichen Ritualen – ein Teufelskreis, der auch nicht von einer neuen Protagonistin durchbrochen werden kann, die mit Alisons Freundin Helena ins Spiel kommt. „Dieses Stück gibt jede Menge Rätsel auf“, fasst Barbara Noth zusammen. „Warum ist Jimmy Porter so zornig? Und warum gerade auf die Menschen, die ihm am nächsten stehen?“ Die Antworten müssen wohl bis zur Premiere am Freitagabend warten.